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Ansprache zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises
am 4.6.2023 in der Paulskirche
Frankfurt am Main
Exzellenz, meine Damen und Herren,
herzlich willkommen zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises 2023 in der Frankfurter Paulskirche!
Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung zu unserer heutigen Fest- veranstaltung in so zahlreichem Maß gefolgt sind.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn einige Worte zu unserer Stiftung verlieren.
Die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ wurde im Jahre 2000 gegründet. Ihr Zweck ist die Förderung der Völkerverständigung, der Versöhnung und der friedlichen Nachbarschaft der Völker. Die Stiftung will Mahnung sein, der Völkervertreibung weltweit entgegenzuwirken, sie zu ächten und – wenn möglich – zu verhindern.
Wir fühlen uns deshalb in besonderem Maße der Wahrung und der Beachtung der Menschenrechte verpflichtet.
Ausgangspunkt war und ist das Schicksal der 15 Millionen deutschen Flucht-, Deportations- und Vertreibungsopfer aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa. mit Deutschen wurde damals ihre Heimat genommen. Wir wollen ihre Kultur und Siedlungsgeschichte vor Geschichtsvergessenheit bewahren.
Unverzichtbarer Auftrag ist auch die Befassung mit der Vertreibung und dem Genozid an anderen Völkern, insbesondere in Europa, aber auch darüber hinaus.
Deshalb heißt unsere Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, im Plural.
Gerade aus dem eigenen erlittenen Schicksal leiten wir unsere Verpflichtung ab, uns mit den aktuellen Vertreibungen zu beschäftigen und Problembewusstsein zu schaffen. Denn das Bewusstsein der Probleme ist der erste Schritt zu ihrer Beseitigung.
Es sind über 100 Millionen Menschen, mit steigender Tendenz, die sich gegenwärtig in der ganzen Welt auf der Flucht befinden. Deren Schicksal darf uns nicht gleichgültig sein.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung einschieben: in Königsberg geboren, im Dom getauft, dort meine Eltern getraut, Vater dort getauft und konfirmiert, ebenso Großeltern; mein jüngster Sohn Laurenz am 13. Mai 2000 als erstes Kind nach 1945 im wieder aufgebauten Königsberger Dom getauft.
Wenn Sie heute diese Geschichte einem zum Beispiel 50-jährigen Mitbürger erzählen, also 1973 geboren, dann fragt er: Wo liegt Königsberg? Wenn ich ihm dann sage: Königsberg war die Provinz-Hauptstadt von Ostpreußen, dann fragt er: Wo liegt Ostpreußen? Dasselbe würde sich mit Schlesien oder Pommern ebenso wiederholen.
Mich beschäftigt die Sorge, dass das kollektive Gedächtnis in Deutschland die angesprochenen historischen Fakten nicht mehr wahrnimmt.
Hinzu kommt: In der ehemaligen DDR war es verboten, sich als Heimatvertriebene zu bekennen, zu organisieren oder über Vertreibung gar nur zu sprechen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart und die Zukunft.
Hinzufügen möchte ich noch: Die Menschen sind damals nicht als Schlesier, Pommern oder Ostpreußen drangsaliert und ihrer Heimat beraubt worden, sondern als Deutsche. Die Opfer der Vertreibung waren ihrem Schicksal stellvertretend für alle Deutschen ausgeliefert. Dies gilt im Übrigen auch für Deutsche in den Siedlungsgebieten außerhalb der damaligen Reichsgrenzen. Die Katastrophe der Vertreibung von 15 Millionen Deutschen ist deshalb ein schmerzlicher und unauslöschbarer Teil der Geschichte unserer ganzen Nation. Auch die ostdeutsche Geschichte und Kultur sind und bleiben ein wichtiger Teil der gesamtdeutschen Geschichte und Kultur.
Zuweilen wird darauf hingewiesen, dass die Vertreibungen die gerechte Folge des von Nazideutschland vom Zaune gebrochenen Angriffskrieges war.
Ja, es ist wahr, Nazi-Deutschland steht für größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte. Aber Vertreibungen und ihre Begleiter, wie Tod, Vergewaltigungen, Zwangsarbeit, Deportationen und andere unmenschliche Verhaltensweisen lassen sich niemals rechtfertigen. Sie widersprechen den Menschenrechten auch dann, wenn sie die Antwort der Opfer auf vorangegangene Verbrechen an ihnen sind. Alle Opfer von Genozid und Vertreibung brauchen einen Platz in unserem Herzen und im historischen Gedächtnis.
Ich sagte bereits eingangs: Flucht und Vertreibung sind ein weltweites Problem mit leider hoher Aktualität. Beispielsweise nenne ich nur den Sudan, Syrien, Jemen oder die Ukraine. Die Menschen dort werden gezwungen, Hab und Gut zurückzulassen, ihre Verbindungen zu ihren Verwandten und Nachbarn, zu ihrer Arbeitsstelle, zu ihren Vereinen, und zu den Gräben ihrer Angehörigen aufzugeben, um das nackte Leben zu retten.
Dieses Schicksal müssen wir, die wir in geordneten und gesicherten Verhältnissen leben, uns immer wieder ins Bewusstsein rufen. Wir müssen daraus Motivation und Kraft schaffen, um wenigstens unseren kleinen Beitrag zu leisten für eine weltweite Ächtung von Terror und Krieg.
Die Ursachen für Flucht und Vertreibung liegen in Kriegen, in menschenverachtenden Diktaturen, aber auch in Repressalien gegen Minderheiten oder in naturbedingten Veränderungen des Lebensraumes. Dies sind dauerhafte riesige Herausforderungen für menschenrechtsgeleitete Regierungen und internationale Organisationen.
Natürlich dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, dass ein Land allein alle Flüchtlinge dieser Erde aufzunehmen imstande sei. Wir wissen, dass eine Überforderung der aufnehmenden Bevölkerung die Gefahr in sich birgt, den guten Willen zu überfordern. „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich“, hat der frühere Bundespräsident Joachim Gauck zutreffend betont.
Aus dem Gesagten folgere ich sieben Leitlinien an denen wir uns orientieren sollen:
Die Stiftung selbst leistet Bewusstseinsarbeit durch bundesweit präsentierte Wanderausstellungen mit Katalogen und Begleitmaterial für Schulen und Unterricht. Die Ausstellung über die Vertriebenen in Hessen, die Sie in diesem Haus heute sehen können, ist auch neu.
Wir sammeln Zeitzeugenberichte und dokumentieren so das Geschehene für die nachgeborenen Generationen und die Wissenschaft. Aktuell bereiten wir eine neue, die sechste Ausstellung vor, die sich dem Thema Vertriebene in der SBZ/DDR widmet.
Alle zwei Jahre findet die Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises statt, mit dem Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die durch ihr Handeln das Verantwortungsbewusstsein für Menschenrechte schärfen und die sich vernehmbar gegen Völkermord, Vertreibung und die Zerstörung nationaler, ethnischer und religiöser Gruppen wenden. Der Preis ist benannt nach dem großen Schriftsteller Franz Werfel, der mit seinem Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“ die Vertreibung der Armenier aus der Türkei und den Genozid an den Armeniern eindringlich und mit großer literarischer Gestaltungskraft dargestellt hat.
Wir haben bereits 10 mal den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis verliehen, u.a. an die Nobelpreisträgerin Herta Müller, den Bundespräsidenten a.D. Joachim Gauck, an den Historiker Michael Wolffsohn.
Zu unserem heutigen Festakt begrüße ich den Vertreter des Hausherrn der Paulskirche, Dr. Bernd Heidenreich. Eine Bemerkung füge ich hinzu: Vor kurzem haben wir des 175. Jahrestages des Einzugs der deutschen Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche gedacht. Bundespräsident Steinmeier erhofft sich in diesem Zusammenhang eine „Stärkung der wehrhaften Demokratie“, und er spricht von einem wichtigen Datum der „Demokratie-Geschichte“. Die Paulskirche ist durch das Jahr 1848 zum Symbol für Demokratie in Deutschland geworden.
Ich gebe mich daher in Gegenwart des Frankfurter Oberbürgermeisters der Hoffnung hin, dass die geplante Renovierung und Neugestaltung der Paulskirche ganz zentral im Auge behält den Gedanken eines Hauses der Demokratie sowie die von der Historikerin Schüler-Springorum formulierte Einsicht: „Erinnerungskultur ist Demokratieerziehung“.
Ich freue mich, dass der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein in guter Tradition die Schirmherrschaft über unsere Veranstaltung übernommen hat und dass Herr Justizminister Professor Roman Poseck den Ministerpräsidenten heute vertritt und ein Grußwort zu uns sprechen wird. Lassen Sie mich ausdrücklich feststellen, dass das Land Hessen, auch im Vergleich zu anderen Bundesländern, die Arbeit der Heimatvertriebenen seit Jahrzehnten vorbildlich fördert.
Ich freue mich, dass zahlreiche Parlaments-Abgeordnete durch ihre Anwesenheit ihr Interesse an unseren Anliegen bekunden. Es sind dies MdEP Michael Gahler, MdBs de Vries, Willsch und Dr. Meister und viele MdLs, an ihrer Spitze der Landtags-Vizepräsident Dr. Jörg-Uwe Hahn.
Ebenso herzlich willkommen heiße ich den Präsidenten des Bundes der Vertriebenen und früheren Beauftragten der Bundesregierung,
Dr. Bernd Fabritius sowie die Gründungsvorsitzende unserer Stiftung, Frau Erika Steinbach.
Anwesend sind auch Frau Gudrun Osterburg, die Vorsitzende des Fördervereins des BdV und Jurymitglied.
Ich begrüße die weiteren Mitglieder der Jury, Milan Horáček und Reinfried Vogler.
Ich begrüße die Vorsitzenden der BdV-Mitgliedsverbände, unter ihnen Siegbert Ortmann, Johann Thiessen, Rainer Lehni, Helmuth Gaber, Brigitte Bornemann und den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Minderheiten, Bernard Gaida.
Ich heiße die zahlreichen Vertreter des öffentlichen Lebens, Vertreter der Kirchen und Glaubensgemeinschaften und des konsularischen Corps herzlich willkommen.
Was wäre eine Preisverleihung ohne einen prominenten Laudator?
Sehr geehrter Herr Präsident Juncker, wir fühlen uns geehrt und sind dankbar dafür, dass Sie es übernommen haben, die Laudatio auf unseren Preisträger zu halten. Sie sind nach wie vor einer der bekanntesten EU-Politiker überhaupt. Sie haben über Jahrzehnte hinweg eine große Anzahl von strategischen Entscheidungen in und für Europa geprägt, nicht nur in ihrer Zeit als Präsident der EU-Kommission, sondern zuvor schon als Premierminister Luxemburgs. Sie haben sich historische Verdienste um Europa erworben.
Als Höhepunkt meiner Begrüßungsworte heiße ich sehr herzlich willkommen unseren diesjährigen Träger des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises, Seine Exzellenz, den Staatspräsidenten von Rumänien, Herrn Klaus Iohannis, gemeinsam mit seiner Gattin.
Wir freuen uns sehr, dass Sie, Herr Präsident, heute nach Frankfurt gekommen sind, um einen Preis entgegenzunehmen, der Persönlichkeiten auszeichnet, die sich – wie ich schon sagte – gegen die Verletzung von Menschenrechten mutig eingesetzt haben. Sie, verehrter Herr Staatspräsident, gehören der Volksgruppe der Siebenbürger Sachsen an und waren in bereits jungen Jahren Bürgermeister Ihres Geburtsortes Hermannstadt. Nun sind Sie seit 2014 direkt gewählter Präsident von Rumänien, in einem – ich sage es diplomatisch – politisch schwierigen Umfeld.
Ich verbeuge mich vor Ihrem Mut, Ihrer Klugheit und Ihrer Konsequenz, mit der Sie seit über acht Jahren ihr verantwortungsvolles Amt wahrnehmen.
Möge Gott Sie und Ihr Land schützen und segnen!
Ich bitte nun Herr Professor Poseck für das Grußwort nach vorne!