Franz Viktor Werfel (1890-1945)

Die großen Themen des Lebens

Auch er, der Schöpfer so beachtlicher Werke wie „Das Lied von Bernadette“, „Stern der Ungeborenen“ und nicht zuletzt „Die 40 Tage des Musa Dagh“ ist weitgehend vergessen. Zu Unrecht. Wer mit einem solchen Atem, einer solchen Plastizität und solcher Fabulierkunst zu erzählen versteht, gehört gelesen! Thomas Mann schrieb kurz nach dem Tod Werfels: „Ich habe nie einen begabteren Menschen gesehen. Er strotzte von Begabung. In ihm waren hundert Möglichkeiten des Künstlertums.“

Es waren ihrer viele, die sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts in den Prager literarischen Cafes und Salons einen Namen machten: Franz Kafka, Max Brod, Otto Pick, Oskar Baum und viele andere mehr. Einer aber fiel vor allem wegen seines Temperaments, seines Engagements und seiner Begabung auf: Franz Werfel. Und dabei war er doch – so erinnert sich Max Brod – ein unscheinbarer junger Mann „mittelgroß, blond, hochstirnig, ziemlich dick, mit zerwühlt-kindlicher Miene und sehr gedrückt, ja schüchtern“ – der sich schlagartig verwandelte, wenn er zu rezitieren begann: „So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich war einfach erobert.“

In jungen Jahren schon berühmt

Geboren wurde Franz Werfel 1890 in Prag als Sohn eines Handschuhfabrikanten. Sein Elternhaus war großbürgerlich, seine tschechische Kinderfrau machte ihn mit dem katholischen Glauben bekannt. Kunst und Literatur wurden im Elternhaus gepflegt, der junge Werfel schon früh zu Festspielen und Konzerten mitgenommen.

Besonders die Musik von Giuseppe Verdi hatte es ihm angetan, einer seiner ersten Romane galt ihm. Die schulischen Leistungen des Jungen dagegen ließen zu wünschen übrig, die Mitschüler, besonders die Mädchen, lehnten den unschönen Jungen ab. Er litt sehr unter dieser Ausgrenzung, die sein Selbstbewusstsein in Frage stellte. Verständlich daher, dass er bei der Veröffentlichung seines ersten Gedichts in der Sonntagsbeilage der Wiener „Zeit“ außer sich war vor Glück. Diese erste Veröffentlichung öffnete ihm den Zugang zu seinen Schriftsteller-Kollegen, die im Café Arco verkehrten, wo er bald, wie Max Brod schrieb „seine göttlichen Verse deklamierte ". Das war das Milieu, in dem Werfel sich wohl fühlte und nicht die Universität, wo er auf ausdrücklichen Wunsch seines Vaters nach bestandenem Abitur Jura und Philosophie studierte.

Ein Wirbelwind war in unsere Ecke im Prager Café Arco gefahren, hatte uns die Literaturblätter aus den Händen gerissen... Und Werfel sprach, Werfel sang, Werfel wogte, Werfel wurde, nachdem er geworden.

Otto Pick in der Zeitschrift «Die Aktion» von 1916

Mehr Aufmerksamkeit widmete er seinen Gedichten, die ersten schickte er an Ernst Rowohlt nach Leipzig, die dieser jedoch nicht für druckreif hielt. Auf Vermittlung seines Freundes Max Brod erschienen sie 1911 in dessen Berliner Verlag. Die Auflage von 4.000 Exemplaren war sofort vergriffen und Werfel auf einen Schlag berühmt. Franz Kafka notierte in seinem Tagebuch: „Einen Augenblick fürchtete ich, die Begeisterung werde mich ohne Aufenthalt bis in den Unsinn mit fortreißen.“ Und Otto Pick schrieb: „Ein Wirbelwind war in unsere Ecke im Prager Café Arco gefahren, hatte uns die Literaturblätter aus den Händen gerissen... Und Werfel sprach, Werfel sang, Werfel wogte, Werfel wurde, nachdem er geworden.“

Der so verklärte und als „junges, wildes Genie“ (Willy Haas) apostrophierte Werfel jedoch tat währenddessen seinen Militärdienst auf dem Hradschin, nachdem er, wie seine Universitätsstudien, eine Ausbildung in einer Hamburger Speditionsfirma ebenfalls abgebrochen hatte.

Was die literarische Welt aufhorchen ließ, war eine vorher so nicht da gewesene Unmittelbarkeit der Sprache, ein neues Lebensgefühl und eine tiefe religiöse Empfindung, ein Überschreiten von Grenzen und das Berühren großer Themen des Daseins: „Zu wem sollte ich Einziger beten?/ Umringt von tausend Planeten/ weiß ich mir keinen Rat" heißt es in seinem Gedicht „Gottvater am Abend“. Alle waren sie begeistert. Rainer Maria Rilke schrieb den Essay „Über den jungen Dichter“ und Karl Krauss urteilte: „In wessen Liede die Welt so liebenswert erscheint, der schafft dem Weltfeind eine frohe Stunde.“

An der Front schreibt er weiter

Die Zeit der Dichterrunden in Prag im Café Arco jedoch ging dem Ende entgegen, die meisten Schriftsteller verließen Prag, nur Kafka und Max Brod blieben. Auch Werfel arbeitete nun im Verlag Kurt Wolff in Leipzig als Lektor. Nebenbei schrieb er Eigenes: „Die Versuchung. Ein Gespräch des Dichters mit dem Erzengel und Luzifer“, „Wir sind“ (1913).

Gemeinsam mit Walther Hasenclever und Kurt Pinthus gab er die Buchreihe „Der jüngste Tag“ heraus, Gedichte von Georg Trakt fanden sich darin und Kafkas Erzählung „Der Heizer", die „gelungenste Sammlung des literarischen Expressionismus“, wie die Kritik urteilte.

1914 erfolgte die allgemeine Mobilmachung. Werfel wurde zunächst als „derzeit untauglich bürgerlich erwerbsfähig“ eingestuft, musste dann aber doch nach dem 1. April 1915 seinen aktiven Dienst antreten – im Hinterland von Bozen, an der Front in Ostgalizien und schließlich im Kriegspressequartier in Wien. Er schrieb weiter, sein erstes größeres Drama war 1916 „Die Troerinnen“, als „Metapher für die Gegenwart", wie er es nannte. Es wurden 1916 in Berlin uraufgeführt und mit Beifall aufgenommen.

Werfel als politischer Provokateur

Werfel hatte sich an der Front eine schwere Fußverletzung zugezogen, die er im Prager Garnisonsspital auskurierte. Dort lernte er Gertrud Spirk kennen, eine Deutschpragerin aus evangelischer Familie, die dort als Krankenschwester tätig war. Sie war seine erste Beziehung, die erst durch die Bekanntschaft mit Alma Mahler 1917 ein Ende fand. Zurück in Wien traf Werfel mit den Autoren Egon Erwin Kisch, Anton Kuh, Gina Kaus, Franz Blei und Peter Altenberg zusammen, dort erlebte er auch die letzten Monate der Donaumonarchie. Am 16. Oktober 1918 versprach Kaiser Karl die Umwandlung Österreich-Ungarns in einen Bundesstaat, und am 28. Oktober rief Masaryk in Prag die Tschechoslowakische Republik aus, Soldaten und Arbeiter trafen sich in revolutionären Versammlungen, unter ihnen Werfel. Am 1. November forderte er vom Deutschmeisterdenkmal herab zur Erstürmung des Wiener Bankvereins auf. Immer wieder tat er sich als politischer Provokateur hervor und entging nur mit knapper Not einer Ausweisung.

Mit 36 Jahren auf der Erfolgsleiter

Alma Mahler und Franz Werfel waren inzwischen ein Paar. Am 2. August 1918 war das einzige Kind Werfels zur Welt gekommen, lebte aber nur neun Monate. Die vermögende Alma, eine der schönsten Frauen des 20. Jahrhunderts, die die bedeutendsten Männer in ihren Bann zog, kaufte 1922 ein Haus in Venedig. Dort und in Wien sowie in Breitenstein am Semmering und später in Santa Margherita Ligure nicht weit von Rapallo lebten die zwei. Während der nächsten zwei Jahrzehnte entstanden hier seine Novellen, Dramen und Romane. Anfang 1925 machte Werfel, zusammen mit Alma, seine erste Orientreise nach Ägypten und Palästina. Nach seiner Rückkehr entstand das Drama „Paulus unter den Juden“. Fragen des Judentums und des Christentums beschäftigten Werfel zunehmend. In einem Brief an Siegmund Freud schrieb er: „Ich glaube, ich würde mich in jener Sphäre am wohlsten fühlen, die dem Idealzustand um das Jahr 50 nach Christi, der Zeit des Urchristentums, am nächsten kommt. Damals war der jüdische und der katholische Ethos in einer wundervollen Idee vereinigt...“

Werfel war nun 36, bekannt und berühmt und auf der Stufenleiter des Erfolgs angekommen. Er erhielt den Grillparzer Preis, die Preußische Akademie der Künste ernannte ihn zu ihrem Mitglied, bei einer Leserumfrage der Zeitschrift „Die schöne Literatur“ wurde er vor Hauptmann und Rilke an erster Stelle genannt. Gemeinsam mit Hermann Burte und Fritz von Unruh wurde ihm der Schiller-Preis verliehen und er wurde 1928 mit dem erstmals vergebenen Tschechoslowakischen Staatspreis für deutschsprachige Literatur geehrt.

Ich glaube, ich würde mich in jener Sphäre am wohlsten fühlen, die dem Idealzustand um das Jahr 50 nach Christi, der Zeit des Urchristentums, am nächsten kommt. Damals war der jüdische und der katholische Ethos in einer wundervollen Idee vereinigt...

Franz Werfel in einem Brief an Siegmund Freud

Reise in den Orient

Natürlich gab es auch Neider und Kritiker. Anlässlich des Erscheinens seines Romans „Barbara oder die Frömmigkeit“ 1929 warf ihm Herbert Ihering vor, seinen „Ruf und Ruhm nicht als einen immerwährenden Stachel zu empfinden ... sondern als einen berauschenden Opferrauch, hinter dem sich pompös orakeln“ lasse. Die Bandbreite der Beurteilung ging vom „Meisterwerk von nahezu tolstoischem Atem“ bis zum „Schwätzer und geschmacklosen Phrasendrescher“.

Im Jahre 1929 trat Werfel auf dringenden Wunsch seiner Lebensgefährtin Alma Mahler aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus, sie heirateten. Während ihrer zweiten Orientreise hielten sie sich in Damaskus auf und besuchten dort die größte Teppichweberei der Stadt. Alma Werfel schreibt in ihrem Buch „Mein Leben“: „Der Besitzer erschien und übernahm die Führung durch sein riesiges Etablissement. Wir gingen die Webstühle entlang, und überall fielen uns ausgehungerte Kinder auf, mit bleichen El Greco-Gesichtern und übergroßen dunklen Augen. Sie rollten auf dem Boden herum, hoben Spulen und Fäden auf, fegten wohl auch manchmal den Boden mit einem Besen rein.

Franz Werfel fragte den Besitzer, was das für merkwürdige Kinder seien. Er antwortete: „Ach, diese armen Geschöpfe, die klaube ich auf der Straße auf und gebe ihnen zehn Piaster pro Tag, damit sie nicht verhungern. Es sind die Kinder der von den Türken erschlagenen Armenier. Wenn ich sie hier nicht beherberge, verhungern sie, und niemand kümmert sich darum. Leisten können sie ja nicht das geringste, sie sind zu schwach dazu.“

Werfel war von dem Schicksal dieser Kinder, vom Massaker an den Armeniern, von dem so gut wie keine Kunde nach Europa gedrungen war, so erschüttert, dass er ein großes Werk begann. Nach intensivem Quellenstudium schrieb er in nur zehn Monaten seinen bisher ausführlichsten Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, in dem das Schicksal von etwa 5.000 armenischen Männern, Frauen und Kindern geschildert wird, die sich vor den grausamen Verfolgungen durch die Jungtürken auf den Berg Mosis südlich des Golfes von Alexandrette, dem Musa Dagh, geflüchtet hatten. Eine unvorstellbare Leistung!

Verbot der Bücher Werfels in Nazi-Deutschland

Durch den Roman wird das Verbrechen dieses Genozids an weit über einer Million Armeniern für immer im Bewusstsein der Menschen bleiben. Das Buch ist noch heute trotz der beschriebenen Gräuel eine spannende Lektüre mit dichter Milieu-Schilderung, die man, einmal damit begonnen, nicht aus der Hand legen kann. Durch den gründlich recherchierten historischen Hintergrund entwarf Werfel hier ein Geschichtsbild mit großartigen Zeichnungen der türkischen Politik der damaligen Zeit, doch stets darum bemüht, nicht Partei zu nehmen. Ende November 1933 erschien das Buch, wurde in Österreich und in der Schweiz begeistert aufgenommen, in Deutschland offiziell abgelehnt und zwei Monate später verboten, etliche seiner Schriften verbrannt. Im Dezember bemühte sich Werfel sogar um Aufnahme in den „Reichsverband deutscher Schriftsteller". Im Februar 1934 wurden Werfels Werke in Deutschland generell verboten.

Bald fühlten sich Franz Werfel und seine Familie nicht mehr sicher in Österreich und auch nicht in Italien, sie gingen nach Frankreich ins Exil und mussten zwei Jahre auf ihre Schiffskarten in die USA warten. In dieser Zeit schrieb Werfel „Der veruntreute Himmel“, „Eine blassblaue Frauenzeitschrift“ und den Fragment gebliebenen Roman „Cella oder die Überwinder“, in dem Werfel eine genaue Schilderung Österreichs zur Zeit des Anschlusses an das Deutsche Reich gelingt.

Man soll gegen jeden Menschen so handeln, wie man wünschte gehandelt zu haben, wenn die Nachricht seines Todes käme

Franz Werfel (1890 - 1945)

Am 4. Oktober 1940 verließen Alma und Franz Werfel, gemeinsam mit Heinrich, Nelly und Golo Mann und Alfred Polgar mit dem griechischen Dampfer „Nea Hellas“ Lissabon und kamen neun Tage später in New York an. „Endlich – endlich standen wir wieder auf wahrhaft freiem Boden, und das Vorausgegangene versank in die Nacht des Vergänglichen. Hätte ich mich nicht vor den anderen geniert – ich hätte den Boden Amerikas geküsst. Die Ankunft im New Yorker Hafen ist wie immer ein grandioses Erlebnis. Wir wurden von einer großen Menge von Freunden am Pier erwartet, alle hatten Tränen in den Augen und wir nicht minder", schrieb Alma Mahler-Werfel in ihr Tagebuch.

Ende des Jahres zog das Ehepaar Werfel nach Los Angeles, 1942 nach Beverly Hills, wo „Das Lied von Bernadette“ entstand, ein Buch, das wochenlang die Bestsellerlisten anführte, 1943 verfilmt wurde und zum „meistgelesenen Werk der deutschsprachigen Exilliteratur“ avancierte.

Auch der danach entstandene Roman „Jacobowsky und der Oberst“ wurde mehrmals verfilmt, trotz Werfels angeschlagener Gesundheit entstanden weitere Werke, sein letztes war „Stern der Ungeborenen“, das er kurz vor seinem Tod am 26. August 1945 fertig stellte. Franz Werfels Leben hatte dem Schreiben gehört, einer Literatur, die er in der Zeit so großer Umbrüche den großen Themen der Menschheit und der Menschlichkeit gewidmet hatte.

Erika Kip (DOD 7/2005)