Dr. Christean Wagner

Dr. Christean Wagner Vorsitzender der Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN

Franz-Werfel-Menschenrechtspreis am 4.7.2021 Paulskirche

„Der Sehnsucht der Menschen nach Heimat, nach Geborgenheit und Überschaubarkeit Raum zu geben, ist eine Grundaufgabe jeder Politik.“ Dieses Zitat aus dem Munde von Papst Franziskus umfasst prägnant in einem Satz die selbst gewählte Verpflichtung der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen. Dieses Papst-Zitat kann zugleich als Leitwort über unserer heutigen Begegnung stehen, in der feierlich der Franz-Werfel- Menschenrechtspreis verliehen wird. Mit seiner Heimat verliert der Mensch mehr als einen Fleck umgrenzter Erde. Er verliert nicht nur sein Eigentum und seine Wohnung. Zurück bleiben in der verlorenen Heimat auch eine ganze Kultur, die Art des Miteinanderlebens, die von alters her überlieferten Bräuche und Gewohnheiten, die gewachsene örtliche Gemeinschaft und die Gräber der Angehörigen. Deshalb ist das Recht auf die Heimat eines der wichtigsten Menschenrechte. Für Hannah Arendt, die in meiner Geburtsstadt Königsberg aufgewachsen ist, die zu den Vertriebenen der Hitlerdiktatur gehörte und dem Genozid entrinnen konnte, ist das Heimatrecht das erste Menschenrecht. Diese Feststellungen geben uns Anlass, an eine der größten Vertreibungen in der Weltgeschichte zu erinnern, nämlich daran, dass infolge des 2. Weltkrieges 15 Millionen Deutsche ihre Heimat verlassen mussten und über 2 Millionen die Flucht nicht überlebten. oder bis heute verschollen blieben. Das heutige kollektive Gedächtnis nimmt diese historischen Fakten aus der jüngeren Vergangenheit kaum noch wahr. Und in der ehemaligen DDR war es geradezu verboten, über die Vertreibungen aus den deutschen Ostgebieten zu sprechen.

Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Gegenwart des Jahres 2021 ist, dass weltweit über 82,4 Millionen Menschen sich auf der Flucht befinden. Die Erinnerung an die von einem Teil unseres Volkes erlittene Vertreibung gibt uns die Berechtigung, aber auch die moralische Verpflichtung, zu den aktuellen Vertreibungen nicht zu schweigen. Nicht zuletzt deshalb heißt der Name unserer Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ – im Plural. Wir wollen uns nicht nur beschäftigen mit der Vertreibung deutscher Landsleute, sondern auch mit den in unserer heutigen Zeit noch immer andauernden Vertreibungen. Hierbei leisten wir Bewusstseinsarbeit u.a. durch, Zeitzeugenberichte, Wanderausstellungen, Dokumentationen oder durch die öffentlich stattfindende Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises, mit dem wir Persönlichkeiten auszeichnen, die durch ihr Handeln das Verantwortungsbewusstsein für Menschenrechte schärfen und die sich vernehmbar gegen Völkermord, Vertreibung und die Zerstörung nationaler, ethnischer oder religiöser Gruppen wenden.

Die Ursachen für Flucht und Vertreibungen liegen in Kriegen und menschenverachtenden Diktaturen, aber auch in Repressalien gegen Minderheiten oder in naturbedingten Veränderungen des Lebensraumes. Dies sind dauerhafte riesige Herausforderungen für menschenrechtsgeleitete Regierungen und internationale Organisationen. Wir geben uns im Übrigen nicht der Illusion hin, dass ein Land allein alle Flüchtlinge dieser Erde aufzunehmen imstande ist. Wir wissen, dass eine Überforderung der aufnehmenden Bevölkerung die Gefahr in sich birgt, den guten Willen zu beschädigen. „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt“, hat ein früherer Bundespräsident zutreffend gesagt.

Der Verlust der Heimat löst Schmerz, Schock und nicht selten Traumata aus. Umso mehr ist es tief beeindruckend, wie die deutschen Heimatvertriebenen mit ihrem Schicksal umgegangen sind und wie sie es aufgearbeitet haben. Ich meine die Charta der Heimatvertriebenen, an deren Verabschiedung vor 70 Jahren im Jahr 2020 erinnert wurde. Als 1950 die Charta verfaßt wurde, lag die Vertreibung erst wenige Jahre zurück, Wunden und Schmerz waren noch frisch. Man wußte nicht, wie es weiter geht – mit Deutschland und den Vertreibungsgebieten. Ein großer Teil der Vertriebenen war davon überzeugt, in die Heimat zurückkehren zu können. In dieser Situation überraschten die Vertriebenen die deutsche und die Welt-Öffentlichkeit mit ihrem Manifest, mit ihrer Charta in Stuttgart am 5. August. (Auszüge des Textes)

Nicht nur unter Bezug auf die damaligen Zeitumstände, sondern auch über 70 Jahre danach kommt man nicht umhin, die Charta als eine von großer Reife geprägte Erklärung zu bezeichnen. Sie ist getragen von christlicher Humanität, historischer Weitsicht und von einer damals den politischen Horizont sprengenden Vision eines freien, geeinten und friedlichen Europas. Zurecht wird von ihr gesagt, dass sie zu den Gründungsdokumenten der Bundesrepublik Deutschland gehört. Die Charta ist auch deshalb von historischer Bedeutung, weil sie innenpolitisch radikalen Versuchungen den Boden entzog und außenpolitisch einen Kurs der europäischen Einigung und Versöhnung mit den mittel- und osteuropäischen Nachbarn vorbereitete. „Sie ist ein bleibendes Vermächtnis für die Zukunft des wiedervereinigten Deutschlands in einem zusammenwachsenden Europa.“ (Norbert Lammert, früherer Bundestagspräsident)

Im Jahre 2020 haben wir ein weiteres bedeutendes Jubiläum gefeiert, nämlich 30 Jahre Deutsche Einheit. Ich selbst habe immer auf die Wiedervereinigung gehofft, für sie gebetet, aber nicht gewusst, ob ich sie noch erleben würde. Als sie dann kam, war es für mich ein großes Wunder. (Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.) Und ohne Helmut Kohl, Bush sen. und Gorbatschow hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben. Den Einsatz von Helmut Kohl kann man gar nicht hoch genug bewerten, zumal Teile der damaligen Opposition im Bundestag die Wiedervereinigung geradezu militant ablehnten. Beklagt wird aber zu Recht, dass bei den Einheitsfeierlichkeiten der Verlust von Ostbrandenburg, Pommern, Schlesien und Ostpreußen und die in Jahrhunderten von diesen deutschen Provinzen erbrachten Leistungen keine Erwähnung fanden. In die große Freude über die Einheit mischt sich für mich als Königsberger ein Wermutstropfen.
 

Begrüßung

1) Vertreter der Stadt Frankfurt, OB Feldmann

Dank dafür, dass Sie als Hausherr – wie in den vergangenen Jahren – die Paulskirche für unsere Preisverleihung zur Verfügung gestellt und hiermit unserer Veranstaltung einen würdigen Rahmen gegeben haben. Wir sind hier an dem Ort, an dem die Deutschen im 19. Jahrhundert um ihre Nation gerungen haben, um die Demokratie und damit um den Rechtsstaat. Im Jahre 1849 verabschiedete das Paulskirchenparlament eine Verfassung, die zwar nie in Kraft trat, aus der aber Elemente in die Weimarer Verfassung sowie in das Bonner Grundgesetz Eingang gefunden haben. Insofern gibt es eine starke Verbindungslinie, die von der Frankfurter Nationalversammlung bis zur politischen Verfasstheit Deutschlands in der Gegenwart reicht. Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung hat im November 2019 einen grundlegenden Beschluss zur Sanierung der Paulskirche gefasst. Daher wird die Paulskirche nun für einige Jahre der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stehen. Ich bin zuversichtlich, dass die Stadt Frankfurt die Gelegenheit nutzen wird, um nicht nur die überalterte Haustechnik auf den neuesten Stand zu bringen. Die Paulskirche ist ein nationales Symbol. Die anstehende Renovierung ist eine Chance, der Paulskirche das Gesicht zu geben, das die mit ihr verbundene Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts widerspiegelt, aber auch perspektivisch die Entwicklungen unserer Demokratie denkt.  Es handelt sich nach meiner Überzeugung um ein Vorhaben von nationaler Bedeutung mit internationaler Ausstrahlung, an dem sich auch Land und Bund beteiligen sollten.

Dank für die erneute Übernahme der Schirmherrschaft, wie sie seit zwei Jahrzehnten von Ihnen und Ihrem Vorgänger Roland Koch ausgeübt wird. Ausdruck der Verbundenheit nicht nur mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis, sondern vor allem mit den Zielen des Zentrums gegen Vertreibungen. Überhaupt unterstützt das Land Hessen – auch im Vergleich mit anderen Bundesländern – vorbildlich die Arbeit der Heimatvertriebenen. Hessen hat als erstes Land vor über 20 Jahren die Stelle eines Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler geschaffen. (Begrüßung Ziegler-Raschdorf) Darüber hinaus stattet die Landesregierung die Förderarbeit sowohl finanziell als auch personell weit überdurchschnittlich aus. Zu erwähnen ist u.a. auch der Hess. Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation und der Tag der Vertriebenen an jedem Hessentag, die Auslobung des Hessischen Landespreises „Flucht, Vertreibung, Erinnerung“. Hervorheben möchte ich die Tatsache, dass im Kernkurrikulum Geschichte für die Oberstufe bei uns in Hessen das Themengebiet Flucht und Vertreibung verpflichtend ist. Hinzu kommen die Existenz eines Landesbeirates für Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen und des Unterausschusses des Landtags für Heimatvertriebene, Aussiedler, Flüchtlinge und Wiedergutmachung. In § 96 des Bundesvertriebenengesetzes heißt es: „Bund und Länder haben … das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewusstsein … des ganzen deutschen Volkes und des Auslands zu erhalten…“ Wir danken Ihnen, Herr MP, dass Ihre Landesregierung diesen Gesetzesauftrag beispielhaft mit Leben erfüllt.

3) Dr. Bernd Fabritius. Seit 2014 Präsident des BdV, seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, in Siebenbürgen geboren;

4) Erika Steinbach. Ehrenpräsidentin des BdV und Gründungsvorsitzende des ZgV (gemeinsam mit Peter Glotz).

5) MdEP, MdBs, MdLs, Minister, Staatssekretäre

7) Diplomatisches Corps und Vertreter der Religionsgemeinschaften

8) Wir alle, Ehrengäste und Gäste stellen heute einen ganz besonderen Menschen in den Mittelpunkt unseres Zusammenkommens: Joachim Gauck. Wir heißen Sie, sehr verehrter Herr Bundespräsident herzlich willkommen. Um Sie zu ehren, sind wir hier!

Die Jury brauchte nicht lange zu beraten, um Sie für den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis vorzuschlagen. Wir freuen uns, dass Sie bereit sind, den Ihnen angetragenen Preis anzunehmen. Wir wollen Sie heute ehren für Ihr jahrelanges unerschütterliches Eintreten gegen Flucht und Vertreibung. Wir fühlen uns aber auch unsererseits geehrt durch Ihre Anwesenheit. Sie sind ein Bundespräsident der klaren und mutigen Worte gewesen. Im Mittelpunkt Ihres Wirkens stand und steht – sicherlich auch biographisch bedingt - Ihr Kampf für die Freiheit und Ihr unermüdliches Werben für den Wert der Freiheit. Im Jahre 2005 haben Sie, Herr Bundespräsident, hier an Ort und Stelle die Würdigung des damaligen Trägers unseres Menschenrechtspreises, Bischof Komarica, vorgenommen. Heute wird nun der Präsident des BdV, Herr Dr. Fabritius, die Laudatio auf Ihr Leben und Schaffen halten. Zuvor wird MP Bouffier zu uns sprechen.

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