Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2018

Uwe Becker Bürgermeister der Stadt Frankfurt am Main

Rede des Bürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main Uwe Becker anlässlich der Verleihung des Franz Werfel Menschenrechtspreises am 21. Oktober 2018 in der Paulskirche in Frankfurt/Main

Sehr geehrter Herr  Ministerpräsident Bouffier,
Sehr geehrter Herr Dr. Wagner,
Sehr geehrter Herr Prof. Rödder,
meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete des Europäischen Parlaments,
des Deutschen Bundestages,
des Hessischen Landtages,
der Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung, des Frankfurter Magistrats
und natürlich sehr geehrter Herr Prof. Wolffsohn,

ich freue mich, Sie zur Verleihung des Franz Werfel Menschenrechtspreis 2018 hier am Ort der Wiege der deutschen Demokratie in der Frankfurter Paulskirche sehr herzlich willkommen heißen zu dürfen und Ihnen die offiziellen Grüße, und im Falle des Preisträgers, auch die Glückwünsche des gesamten Frankfurter Magistrats und der Stadtversammlung übermitteln zu dürfen.

Aus dem Geist der Versöhnung mit den Nachbarvölkern Deutschlands und in der Solidarität gegenüber allen Opfern von Genozid und Vertreibung wurde im Jahre 2000 die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen gegründet. Das Engagement Ihrer Stiftung reicht weit über das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen hinaus und erstreckt sich heute in europäischer und zugleich grundsätzlicher Dimension als Mahnung gegenüber jeglicher Form von Vertreibungen und Genozid an anderen Völkern und Sie bringen dies gegenüber der Politik sehr deutlich, sehr nachdrücklich und auch nachhaltig zum Ausdruck.

In der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 ist festgehalten, dass jeder Mensch ein Recht auf Heimat hat und kein Mensch hat das Recht eben jenes Grundrecht anderen zu nehmen, sie aus ihrer Heimat zu vertreiben, ihre Wurzeln zu zerschlagen oder gar körperliches Leid zuzufügen.

Und auch wenn sich im jeweiligen historischen Kontext häufig vermeintlich erklärbare Begründungsmuster ergeben, bleibt Unrecht, Unrecht. Während es keine Relativierung von nationalsozialistischen Terror geben darf, von dem millionenfachen Unrecht und Leid, dem unermesslichen Grauen einer beispiellosen staatlichen Tötungsmaschinerie, wie sie im Zweiten Weltkrieg von deutschem Boden aus gerade gegenüber unseren Nachbarstaaten verübt und an Millionen deutschen und europäischen Juden verbrochen worden ist, so darf das Unrecht der Vertreibung etwa auch der Millionen Deutschen aus ihrer Heimat nicht quasi alleine als selbstverständliche Folgewirkungen selbst relativiert werden. Unrecht ist Unrecht.

Gerade aus den Erfahrungen unseres eigenen Landes erwächst Auftrag und Verpflichtung uns engagiert gegen jegliche Form der Verletzung von Menschenrechten, gegen Vertreibungen und Genozid, aber auch gegen Extremismus, Antisemitismus und Diskriminierung, gerade auch in ihrem frühen Stadium auszusprechen, dagegen aufzustehen und uns dagegen zu engagieren. Leider stellen wir 73 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und 77 Jahre nach dem Beginn der ersten Massendeportation der Frankfurter Juden an die wir gerade vor zwei Tagen gedacht haben, dem 19.10.1941 fest, dass der Antisemitismus in Deutschland und Europa wieder stärker wird, dass statt legitimer nationaler Interessen nationalistische Interessen in Europa wieder hoffähig werden und auch in unserem Lande Gruppierung in die Parlamente kommen, die nicht das Miteinander unserer Gesellschaft im Blick haben, sondern unsere Gesellschaft spalten wollen, Hass und Angst säen, die Verbrechen des Nationalsozialismus als Vogelschiss bewerten jenen Ungeist wieder entfesseln, der  Europa und die Welt schon einmal ins Unglück geführt hat. Das Eintreten für die Einhaltung der Menschenrechte und damit auch für eine menschliche Gesellschaft muss elementarer Bestandteil politischen und gesellschaftlichen Handelns sein.

Gleichsam sind Aussöhnung und Versöhnung wichtige Schritte, um aus den Wunden der Vergangenheit neue Zukunft entstehen zu lassen. Gerade mit Blick auf ein sich weiter vereinigendes Europa.

Dies tun Sie mit Ihrer Stiftung, lieber Herr Dr. Wagner, Zentrum gegen Vertreibungen und Frankfurt ist froh, Patengemeinde Ihrer Stiftung zu sein. Mit diesem Preis haben Sie sich zur Aufgabe gesetzt, Menschen auszuzeichnen, die sich im Besonderen gegen die Verletzung von Menschenrechten durch Völkermord, Vertreibung und die bewusste Zerstörung nationaler ethnischer oder religiöser Gruppen gewandt haben bzw. wenden, so wie der Schriftsteller Franz Werfel, nach dem dieser Preis benannt wurde.

Franz Werfel hat nicht nur mit seinem Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“, in dem er die Vertreibung und den Völkermord an den Armeniern sehr eindringlich und wirkungsvoll dargestellt hat, ein bedeutendes Werk gegen die Verletzung der Menschenrechte für die Nachwelt geschaffen. Er war auch in seinem persönlichen Leben zur Zeit des Nationalsozialismus selbst davon betroffen. Jenes Unrecht und Leid, dass er damals erlitten hat, kann nicht wieder gut gemacht werden. Aber dieser Preis trägt dazu bei, dass uns allen immer wieder bewusst wird, dass wir die Pflicht haben, die Menschenrechte zu verteidigen und deren gegen Verletzung zu kämpfen.

Als Ort für diese Preisübergabe stellt Ihnen die Stadt Frankfurt am Main nun schon seit mehreren Jahren die Paulskirche zur Verfügung, einen Ort der nicht besser gewählt werden könnte. Die Paulskirche gilt als Wiege der deutschen Demokratie als jener Platz in dem in Deutschland als Symbol für Freiheit und Demokratie, für Menschenrechte und deren Einhaltung hier Menschen diskutiert und gerungen haben. Hier wurden 1848 zum ersten Mal die Grundrechte des deutschen Volkes verkündet, zum Beispiel die Gleichheit vor dem Gesetz, Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit und Versammlungsfreiheit. Und auch wenn diese Verfassung nicht lange Bestand hatte, brachte auch diese Erklärung der Grundrechte neue Impulse im Denken der Menschen. Heute sind diese Rechte in den Artikel unseres Grundgesetzes gewahrt und sind die Grundlage für unser freiheitlich demokratisches Miteinander für unseren Rechtsstaat.

Der diesjährige Preisträger ist der Historiker Professor Dr. Michael Wolffsohn, ein profilierter Zeithistoriker und Publizist, der sich in seiner Arbeit in ganz besonderer Weise dem jüdischen Leben in Deutschland und den deutsch-israelischen Beziehungen widmet und seit Jahren schon wichtige Anstöße für das gesellschaftliche Leben, für das Miteinander in unserem Lande gibt. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur nicht dazu führen dürfen, das Unrecht an den vertriebenen Deutschen zu verschweigen. Als deutsch-jüdischer Patriot, wie Sie sich selbst einmal bezeichnet haben, stehen Sie konsequent für jüdisches Leben in Deutschland ein. Sie sind 1947 in Frankfurts Partnerstadt Tel Aviv geboren und beziehen klar Stellung in den Fragen des Nahostkonfliktes. Dabei versuchen Sie den Menschen zu vermitteln, unter welchen Rahmenbedingungen der junge jüdische Staat Israel tagtäglich im Kampf um die eigene Existenz als einziger demokratischer Rechtsstaat im Nahen Osten jene Werte verteidigt, die auch hier in der Paulskirche festgehalten wurden. Und Israel, das ergänze ich gerne, bräuchte im 70. Jahr seiner Unabhängigkeit durchaus noch mehr an europäischer Solidarität als vielfach bloß deklaratorische Jubiläumswünsche. Insofern gratuliere ich Ihnen, lieber Herr Professor Wolffsohn zum Preis und wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft, Ausdauer und Erfolg in Ihrem Wirken und beglückwünsche die Stiftung zu ihrer diesjährigen Wahl des Preisträgers, noch einmal mein herzliches Willkommen hier in der Paulskirche.

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