Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2018

Dr. Christean Wagner Vorsitzender der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen

Rede des Vorsitzenden der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen Dr. Christean Wagner anlässlich der Verleihung des Franz Werfel Menschenrechtspreises am 21. Oktober 2018 in der Paulskirche in Frankfurt/Main

Die Verleihung des Franz Werfel Menschenrechtspreises ist im Leben der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen ein außergewöhnlicher Höhepunkt. Seinen zusätzlichen Glanz erhält dieser Akt aus der Tatsache, es ist bereits von Herrn Bürgermeister Becker gesagt worden, dass er in einer Räumlichkeit stattfindet, die eine hohe nationale und historische Bedeutung besitzt, nämlich in der Frankfurter Paulskirche. Darauf ist die Stiftung stolz. Wer hat schon die Gelegenheit, als Gastgeber in die Paulskirche einzuladen!

Meine Damen und Herren, der Herr Bürgermeister hat bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Preis nach dem großen Schriftsteller Franz Werfel benannt worden ist. Er hat auf den ungewöhnlichen Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“ hingewiesen. Franz Werfel steht mit dem eigenen Schicksal für das eindrucksvolle literarische Zeugnis, das er geschaffen hat. Er hat mit diesem Roman aber ein lebendiges Zeichen grundsätzlicher Art und dauerhaft gegen Vertreibungen und  Genozid gesetzt.  

Meine Damen und Herren, der Franz Werfel Menschenrechtspreis soll an Einzelpersonen, aber auch an Initiativen verliehen werden, die sich gegen die Verletzung von Menschenrechten durch Völkermord, Vertreibung und die bewusste Zerstörung nationaler ethnischer, rassischer oder religiöser Gruppen gewandt haben.

Ich freue mich, dass ich namens der Stiftung eine große Reihe von prominenten Gästen hier in der Paulskirche begrüßen darf.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Volker Bouffier, Sie haben traditionsgemäß die Schirmherrschaft übernommen, wie seit vielen, vielen Jahren. Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar. Denn das ist kein formaler Akt, das ist auch ein Bekenntnis Ihrerseits zu den Aufgaben und Zielen unserer Stiftung.

Noch dankbarer sind wir Ihnen, dass Sie heute zu uns sprechen.  Das ist unter den zeitlichen Bedingungen, unter denen zumal in diesen Wochen ein Ministerpräsident steht, nicht selbstverständlich.  Und deshalb,  Herr Ministerpräsident Bouffier, haben wir volles Verständnis, wenn Sie leider nicht mehr bis zum Ende dieser Veranstaltung bleiben können, weil Sie heute Nachmittag in Berlin wichtige Begegnungen und Konferenzen haben.

Ich möchte eines  noch hinzufügen: Der Ministerpräsident dieses Landes ist nicht nur in dieser Funktion unseren Zielen und Inhalten in besonderer Weise verbunden. Seine Mutter ist Donauschwäbin. Sie ist im Jahre 1944 aus ihrer Heimat geflohen, so dass Herr Ministerpräsident  Bouffier aus dem Erleben seiner Mutter voll und  ganz weiß,  was es bedeutet, wenn man die Heimat verliert.

Herr Bürgermeister Becker, wir danken Ihnen ausdrücklich für die Überlassung der Paulskirche und wir geben natürlich uns der  Hoffnung hin, dass auch bei zukünftigen Veranstaltung Sie uns großzügig entgegenkommen.

Ich begrüße sehr herzlich, stellvertretend für die anwesenden Jurymitglieder Herrn Professor Hänsch, ehemals Präsident des Europäischen Parlaments und in großer Treue uns seit vielen, vielen Jahrzehnten verbunden. Ich begrüße das Mitglied des deutschen Bundestages Hans-Jürgen Irmer, ich begrüße den Vizepräsidenten des Hessischen Landtages Wolfgang Greilich und alle anwesenden Landtagsabgeordneten, die er sozusagen heute hier repräsentiert.

Ich freue mich, dass auch Prof. Schwarz-Schilling, der zugesagt hatte, sich zu uns hält. Ich begrüße sehr herzlich die Ehrenpräsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, meine Amtsvorgängerin in der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen. Ich begrüße außerdem den Vizepräsidenten des BdV, Herrn Christian Knauer, den Generalsekretär des BdV, Herrn Klaus Schuck.

Und unsere heutige Veranstaltung wäre so organisatorisch nicht  durchführbar,  wenn nicht eine Persönlichkeit sich zur Verfügung gestellt hätte,  die Laudatio zu halten, und deshalb, lieber Herr Prof. Andreas Rödder, vielen Dank, dass Sie meinem Werben ziemlich schnell nachgegeben haben, als ich Sie bat, heute diese wichtige Funktion zu übernehmen.

Der Preisträger Prof. Dr. Wolffsohn wird durch Herrn Prof. Rödder in angemessener Weise, dessen bin ich sicher, gewürdigt werden.

Ich will in diesem Zusammenhang ein aktuelles Zitat vortragen. Mir hat vorgestern der Vorstandsvorsitzende der Springer AG, Matthias Döpfner geschrieben, wörtlich: „Ich kann mir keinen besseren Preisträger vorstellen“. Ich denke, lieber Herr Prof. Wolffsohn, darauf können Sie stolz sein.

Lassen Sie mich einige wenige Sätze verlieren zu den Aufgaben und Zielen des Zentrum gegen Vertreibungen. Wie schon erwähnt, gibt es diese Stiftung seit dem Jahr 2000. Sie wurde geboren aus der Erkenntnis, dass es nötig ist, nicht im eigenen Leide, in persönlichen traumatischen Erinnerungen zu verharren, sondern ein Instrument zu schaffen, das dazu beiträgt, Vertreibungen und Genozid grundsätzlich als Mittel von  Politik zu ächten. Ihr Ziel ist es, der Völkerverständigung, der Versöhnung und der friedlichen Nachbarschaft der Völker zu dienen. Die Stiftung will das Schicksal der 15 Millionen deutschen Deportations- und Vertreibungsopfer aus ganz Mittel- Ost- und Südosteuropa mit ihrer Kultur- und Siedlungsgeschichte genauso erfahrbar machen, wie das Schicksal der 4 Millionen deutschen Spätaussiedler. Zweieinhalb Millionen Kinder, Frauen und Männer haben damals die Torturen von Vertreibung, Folter, Zwangsarbeit oder Vergewaltigung nicht überlebt. Unverzichtbar gehört zu den Aufgaben des Zentrums gegen Vertreibungen auch, die Vertreibung und den Genozid an anderen Völkern immer wieder ins Bewusstsein zu rücken. Deshalb war es so klug, dass die Gründungsmütter und -väter dieser Stiftung den Plural in den Namen der Stiftung eingefügt haben: Zentrum gegen Vertreibungen. Damit wird deutlich gemacht, dass es nicht nur die Deutschen waren, die Opfer von Vertreibung waren, sondern viele andere europäische Völkerschaften, und dadurch wird deutlich gemacht , dass diese Frage heute noch aktuell ist und dass es heute noch, leider weltweit, Vertreibungen gibt. Deshalb versteht sich die Stiftung als Sachverwalterin eines weltumspannenden Gedankens, Ver-treibungen zu ächten und für die Versöhnung der Völkerschaften einzutreten.

Meine Damen und Herren, allein in Europa waren bzw. sind dies mehr 30 Volksgruppen. Ich will nur einige nennen:  von den Albaner, Armenien, über die Esten, Georgier, Krimtataren, Polen, Tschetschenen, Ukrainer bis hin zu den Weißrussen und dem Massenmord an den Juden. Alle Opfer von Genozid und Vertreibung brauchen einen Platz in unserem Herzen und im historischen Gedächtnis. Einen solchen Platz will die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen geben. Wir wollen deutlich machen, dass Menschenrechte unteilbar sind.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Gedanken hinzufügen: Helmut Kohl hat das große Wort von der „Gnade der späten Geburt“ geprägt. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass es eine Gnade, ein unverdienter Vorteil gewesen ist, nicht in eine Diktatur hinein geboren zu sein, mit allen ihren Gefahren, auch der Gefahr sich zu verbiegen, um zu überleben.

Ich füge dieser Feststellung das Wort von der „Gnade des richtigen Geburtsortes“ hinzu. Es macht im Leben eines Deutschen einen schicksalhaften Unterschied, ob er in der Zeit vor 1945 in Breslau, Stettin, Königsberg oder zum Beispiel in Frankfurt am Main geboren wurde. Er ist seinerzeit nicht als Schlesier, als Pommer oder Ostpreuße drangsaliert und seiner Heimat beraubt worden, sondern als Deutscher. Die Opfer der Vertreibung waren ihrem Schicksal stellvertretend für alle Deutsche ausgeliefert. Deshalb ist die Katastrophe der Vertreibung von 15 Millionen Deutschen mit allen nur denkbaren Grausamkeiten in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein schmerzlicher und unauslöschbarer Teil der Geschichte unserer ganzen Nation und nicht nur der Geschichte von Landsmannschaften.

Mit aktuellem Bezug, meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang erwähnen, dass man die Flüchtlingskrise der letzten drei Jahre nicht vergleichen kann mit der damaligen Massenvertreibung und Flucht der Deutschen. Neben vielen Unvergleichbarkeiten war es unter anderem damals auch so, dass die Menschen von Deutschland nach Deutschland flohen. Dies wird in der heutigen Diskussion zuweilen übersehen.

Meine Damen und Herren einen letzten Gedanken kann ich sehr kurz fassen, weil ihn zu meiner Freude auch bereits Herr Bürgermeister Becker angesprochen hat, nämlich die Frage des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung.

Unbestritten ist  in der heutigen deutschen Geschichtsschreibung, dass das nationalsozialistische Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen und grenzenloses Leid, nicht nur hinsichtlich Millionen ermordeter Juden, sondern auch gegenüber den osteuropäischen Völkern verbreitet hat. Dieser schreckliche Sachverhalt wird in unserem Lande nicht nur nicht verschwiegen, sondern zu Recht immer wieder thematisiert. Richtig ist aber auch, dass niemals die eine Barbarei die andere rechtfertigen kann.

Das wäre archaisches Rachedenken und unvereinbar mit den Menschenrechten. Menschenrechte sind unabdingbar, uneingeschränkt und unteilbar. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, werde ich als Vorsitzender der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen die bisherige erfolgreiche Arbeit fortsetzen, im Dienste des Friedens, im Dienste der Menschenrechte, im Dienste der Völkerverständigung. Ich freue mich auf diese Arbeit und bedanke mich für Ihre Anwesenheit.

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