Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2018

Prof. Dr. Michael Wolffsohn

Dankesrede des Preisträgers anlässlich der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises am 21. Oktober 2018 in der Paulskirche in Frankfurt/Main

Jesus am Kreuz. Göttliches Recht, Naturrecht, Gerechtigkeit und Menschenrechte am Kreuz. Im Namen des von Menschen gesetzten, sogenannten Positiven bzw. gesetzlich geltenden Rechts. Das ist übers Christentum hinaus Symbol für die Situation der Menschenrechte in der Menschheitsgeschichte. Gottlob nicht mehr in Deutschland, aber in vielen, ja, den meisten Staaten dieser Welt. Aber auch bei uns ist das Eintreten für die Menschenrechte oft mehr deklamatorisch als faktisch.

Wo und seit es Menschen gibt, gibt es auch das Bemühen, gegenzusteuern und Unmenschlichkeiten zu verhindern oder, besser, zu überwinden. Wir nennen das heute Menschenrechte. Deren ideellen Kern gibt es freilich seit jeher.

Menschlichkeit und Menschenrechte sind dennoch stets in der Defensive. Einer, der eine der unzähligen Unmenschlichkeiten am eindrucksvollsten beschrieb, war Franz Werfel, der Namensgeber des Menschenrechtspreises, den ich hier und heute erhalte und für den ich sehr herzlich und gerührt danke. Der Jury danke und meinem Laudator-Kollegen-Freund Andreas Rödder.

Oft übten Menschen im angemaßten Namen der Menschheit millionenfache Unmenschlichkeiten aus. Warum?

Ich will mich nur auf einige Beispiele unserer Gegenwart konzentrieren und erwähne natürlich erstens Franz Werfel. „Die vierzig Tage des Musa Dagh“. Stichwort Armenier, Osmanisches Reich, Türkei, Vertreibung, Massenmord, manche sagen: Völkermord. Jenseits der Sprachregelung: Obwohl die jüngste Vertreibung, das Aushungern und Massenmorden an Armeniern durch das Osmanische Reich vor mehr als hundert Jahre geschah, bestreitet auch Erdogans Türkei, als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, jenes Verbrechen. Trotzdem und trotz vieler anderer Menschenrechtsvergehen wurde jüngst diesem Politiker in Deutschland der Rote Teppich ausgelegt. Wie glaubwürdig ist also „unsere“ Menschenrechtspolitik? Wir brauchen ihn in der Flüchtlingspolitik. Tenor: Besser Flüchtlinge in der fernen Türkei als bei uns. Wer so fühlt und denkt, präsentiere sich bitte nicht als Moral-Weltmacht.

Zweitens: Trotz ihrer offenkundigen Mängel gelten die Vereinten Nationen hierzulande als „Garant des Völkerrechts“. Wie glaubwürdig ist dieser „Garant“, dessen Mehrheit aus nicht demokratischen Staaten besteht, wo Menschenrechte, wenn überhaupt, auf geduldigem Papier stehen.

Zum Absurden Theater degradiert sich dieser Garant bei der Wahl der Mitglieder des UN-Menschenrechtsrates. Seit Jahren ist er Hort und Ort von – soll ich sagen? – „Schurkenstaaten“? Im Juni 2018 kündigten die USA – auch unter Trump eine Demokratie - ihre Mitgliedschaft. Attackiert wurde Trump, kaum kritisiert jener Rat. Menschenrechte in der Defensive.

Drittens: US-Präsident Trump ist gewiss nicht die Personifizierung von Menschenrechten oder des Gentleman-Ideals. Reicht das als moralische Begründung für eine Abwendung von den USA zugunsten einer Hinwendung zur Volksrepublik China? Immerhin hat Amerika Deutschland und die Welt von Hitler befreit, nach 1945 den hungernden Deutschen Care-Pakete geschickt, unsere Freiheit gesichert und die Wiedervereinigung ermöglicht. Bekanntlich werden in China besonders Tibeter und muslimische Uiguren niedergeknüppelt, -geschossen oder ungefähr „nur“ eine millionen Menschen in „Umerziehungslager“ gesteckt. Wie glaubwürdig ist unsere Menschenrechtspolitik?

Viertens: Seit jeher bekennt sich Bundesdeutschland, besonders die Bundeskanzlerin, zur Existenz Israels. Eben diese Existenz sehen Israels Koalition und Opposition durch das Atompotential des Iran bedroht. Jüngst hat Israel dazu neue Fakten – wohlgemerkt: Fakten - präsentiert. Sie werden hier und in der EU nicht einmal ignoriert, sie werden negiert.

Deutschland ächtet und verdammt Terrorismus. Gleichzeitig überweist die Bundesregierung seit Jahr und Tag Geld an die Exekutive der Palästinenser, die Hinterbliebene nachweislicher Terroristen mit „Märtyrerrenten“ versorgt und in Schulbüchern antijüdische Hetze betreibt. Menschenrechte? 

Seit Jahr und Tag finanziert und akzeptiert Deutschland die Palästinapolitik der UNO. Die definiert auch die Nachfahren der rund 700.000 im Jahre 1948 vertriebenen und geflüchteten Palästinenser als „Flüchtlinge“. Wie viele deutsche Flüchtlinge und Vertriebene gäbe es heute, wenn auch wir diesen UNO-Maßstab anlegten?

Wenn Nachfahren der rund 12 Millionen 1944 bis 1946 deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge (ohne den UNO-Faktor x) zusammenkommen, werden sie von manchen als „Reaktionäre“, „Revisionisten“ oder gar „Nazis“ beschimpft und geächtet.

Deutschlands Vertriebene sagen längst nicht mehr Schlesien, Ostpreußen oder das Sudetenland „ist unser“. Sie sagen: Es war unsere Heimat. Hitler-Deutschland hat den Krieg begonnen und verloren. Wir gaben Land für Frieden, Frieden ist das höchste Gut, und gut geht es uns.

Zu viele Palästinenser sind Revisionisten. Sie sagen, obwohl sie 1947 den Krieg begannen und deshalb nicht nur Land verloren: „Ganz Palästina, auch Israel, ist unser. Der Krieg geht weiter.“ Deutschlands Vertriebene haben bereits 1950 auf die Anwendung jeglicher Gewalt verzichtet, Palästinenser nicht. Diese genießen eine breite Sympathie, von der deutsche Vertriebene nur träumen können.

Viertens: Menschlichkeit und Menschenrechte sind bei uns nicht deshalb in der Defensive, weil „die“ Deutschen keine Schutzbedürftigen aufnehmen wollten. Sie sind deshalb in der Defensive, weil die amtliche Menschlichkeit auf die unverzichtbare Sicherheit verzichtet hat.

Fünftens: Aus meinen vier Beispielen folgt: Eigentlich habe nicht ich den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis verdient, sondern diejenigen unter den Millionen Deutschen, die in der Zeit der NS-Megaverbrechen individuell unschuldig blieben, kollektiv vertrieben, trotzdem keine Revisionisten wurden und mit sich und anderen sowohl den äußeren als auch inneren Frieden schlossen.

Gerade deshalb ist mir der von Ihnen verliehene Preis nicht nur eine große Freude, sondern eine noch größere Ehre.

Ich danke Ihnen herzlich!

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