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Grußwort von Bürgermeister Uwe Becker anlässlich der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises an Frau Freya Klier am Sonntag, 6. November 2016, um 12 Uhr in der Paulskirche
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Steinbach,
Sehr geehrte Frau Tekkal,
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, Ihnen zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises die offiziellen Grüße des Frankfurter Magistrats und der Frankfurter Stadtverordneten-versammlung überbringen zu können.
Ich freue mich, Sie in der Paulskirche, am Ort der Wiege der Deutschen Demokratie willkommen zu heißen. Ganz besonders freut es mich natürlich, die Preisträgerin des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises 2016 willkommen heißen zu dürfen, eine herausragende Persönlichkeit der einstigen DDR-Bürgerrechtsbewegung, die aus ihrem persönlichen Gebot (11. Gebot) ein persönliches Lebensmotto definiert hat „Du sollst Dich erinnern“, mit dem sie Geschichte und Geschichten zu Gesichtern verhilft und damit Unrecht eine erzählerische Wucht verleiht, die nicht nur erinnert und damit aufklärt, sondern auffordert, sich gegen Unrecht zu stellen.
Frau Freya Klier Herzlich wollkommen
An Unrecht zu erinnern und sich gegen Unrecht zu stellen, diesem Gedanken widmet sich die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ seit dem Gründungsjahr 2000 und es ist das Unrecht, der eigenen Heimat beraubt zu werden, gegen das sich Ihre Stiftung stellt.
Wer dem anderen die eigene Heimat raubt, der entwürdigt Menschen, der raubt ihnen einen wichtigen Teil der persönlichen Identität.Dabei gibt es jenen Raub an Heimat, der mit der körperlichen Vertreibung verbunden ist aber auch jenen Raub der Heimat, der mit dem Entzug von Freiheit – von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, von Recht verbunden ist. Wenn nicht die geografische Heimat geraubt, aber der geografischen Heimat alles andere genommen ist – wenn also nicht der Mensch aus seiner Heimat, sondern die Heimat aus dem Menschen vertrieben wird, auch dies ist Unrecht und auch hiergegen muss aufbegehrt werden.
Aus dem Geist der Versöhnung mit den Nachbarvölkern Deutschlands wurde im Jahr 2000 die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ gegründet. Jeder Mensch hat ein Recht auf Heimat, wie dies auch 1950 in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen festgehalten wurde. Und kein Mensch hat das Recht, eben jenes Grundrecht anderen zu nehmen, sie aus ihrer Heimat zu vertreiben, ihre Wurzeln zu zerschlagen oder gar körperliches Leid zuzufügen.
Und es ist Ihr ganz persönlicher Verdienst, sehr geehrte Frau Abgeordnete Steinbach, dass die Stiftung zu einem wichtigen Instrument geworden ist, das geschehenes Unrecht dokumentiert, das sich um die Schicksale der Menschen kümmert, ihre Integration in ein jeweils neues Umfeld beleuchtet und als grundsätzliche Mahnung jegliche Vertreibung und den Genozid an anderen Völkern ächtet und dies gegenüber der Politik deutlich zum Ausdruck bringt.
Insofern ist auch ihre diesjährige Preisträgerin mit ihrer persönlichen Biografie aber auch mit ihrer Arbeit des Erinnerns und Aufzeigens von geschehenem Unrecht eine besonders gute Wahl, ganz im Geiste des Schriftstellers Franz Werfel, nach dem dieser Preis benannt wurde. Franz Werfel hat nicht nur mit seinem Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“, in dem er die Vertreibung und den Völkermord an den Armeniern sehr eindringlich und wirkungsvoll dargestellt hat, ein bedeutendes Werk gegen die Verletzung der Menschenrechte für die Nachwelt geschaffen, er war auch in seinem persönlichen Leben zur Zeit des Nationalsozialismus selbst davon betroffen.
Umso mehr mahnt uns die Arbeit Ihrer Stiftung und die Erinnerung auch an den Namensgeber Ihres Preises zum Eintreten für die Einhaltung der Menschenrechte als elementaren Bestandteil politischen und gesellschaftlichen Handelns.
Lassen Sie mich mit Blick auf das Werk Werfels deshalb auch in diesem Jahr, an diesem Ort eines klar benennen:
Der organisierte Massenmord an einem ganzen Volk bzw. einer Volksgruppe, wie er an den Armeniern vor über 100 Jahren im Osmanischen Reich vollzogen wurde, gehört zu den schrecklichen Menschheitsverbrechen des vergangenen Jahrhunderts. Menschen wurden vertrieben, deportiert, entrechtet, gequält und getötet.
Nur wenn diese Wahrheit unmissverständlich ausgesprochen wird und als das bezeichnet wird, was es war, nämlich Völkermord, besteht auch die Möglichkeit, dass sich Wunden schließen, die selbst Angehörige von Opfern heute noch empfinden.
Wenn jene Nachkommen jedoch bis heute kein ausreichendes Eingeständnis dessen wahrnehmen, was an Unrecht an ihren Familien damals vollzogen wurde, dann bleiben diese Wunden offen. Es mag schmerzhaft für die türkische Regierung sein, sich der Geschichte des eigenen Landes in ihrer ganzen Breite und Tiefe offen zuzuwenden, doch die moralische Größe eines Landes zeigt sich eben auch im Umgang mit den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte.
Die barsche Reaktion der türkischen Regierung auf die Bewertung des Massenmordes an den Armeniern als Völkermord ist der falsche Umgang mit diesem Menschheitsverbrechen und er schafft eher neue Verbitterung und zusätzliche Distanz, wo doch ein Zugehen auf jene notwendig wäre, denen Teile der eigenen Identität geraubt wurden.
Gerade Deutschland kann mit Blick auf die Rolle des Deutschen Reiches im Zusammenspiel mit dem Osmanischen Reich zu Beginn des letzten Jahrhunderts auch eine Brücke in der Armenien-Frage bauen.
Nur aus Aussöhnung und Versöhnung kann eine gesunde Zukunft erwachsen.
Von einer gesunden Zukunft der Welt oder dem „End of History“, wie sie der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama 1992 formuliert hat, sind wir noch weit entfernt.
Wenn wir die fortlaufende Bombardierung von Aleppo und das millionenfache Leid syrischer Kinder, Frauen und Männer sehen, wenn wir das Unrecht sehen, das an Jesiden begangen wird , Verschleppungen, Vergewaltigungen, Ermordungen, wenn wir nach Afrika blicken, nach Asien schauen, wenn wir den Abbau an Demokratie durch den türkischen Staatspräsidenten sehen, all dies dürfen wir nicht einfach nur als TV-Abendprogramm in warmen Wohnzimmern begreifen, sondern als Auftrag zum Handeln für unsere Gesellschaft verstehen.
Der Ort für diese Preisübergabe konnte nicht besser gewählt werden. Die Paulskirche gilt als Wiege der Deutschen Demokratie. Wie kaum ein anderer Ort in Deutschland ist sie Symbol für Freiheit und Demokratie, der Grundlage für Menschenrechte und deren Einhaltung.
Hier wurden 1848 zum ersten Mal die Grundrechte des deutschen Volkes verkündet wie z. B. Gleichheit vor dem Gesetz, Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit und die Versammlungsfreiheit.
Auch wenn diese Verfassung nicht lange Bestand hatte, brachte auch diese Erklärung der Grundrechte neue Impulse im Denken der Menschen.
Heute sind diese Rechte in den Artikeln unseres Grundgesetzes gewahrt.
Und dieses – unser - Grundgesetz ist nicht nur die Dekoration unseres freiheitlich demokratischen Rechtsstaates, sondern täglicher Handlungsauftrag!
In diesem Geiste arbeiten Sie, in diesem Bewusstsein sind wir heute zusammen, Frankfurt ist froh, Patengemeinde Ihrer Stiftung zu sein und Frankfurt gratuliert der Preisträgerin bereits zu ihrer heutigen Auszeichnung.
Herzlichen Glückwunsch und nochmals herzlich willkommen!