Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2014

Rick Ostermann, Regisseur

Dankesrede des Preisträgers Rick Ostermann

Sehr verehrte Frau Steinbach, sehr geehrter Prof. Hänsch

sehr geehrter Herr Stadtrat Frank verehrte Mitglieder der Jury, meine Damen und Herren,

Lieber Prof. Hänsch, ich mich möchte mich bei Ihnen von Herzen für diese wunderbare Laudatio bedanken. Das war die erste Laudatio, die auf mich gehalten wurde und sie haben meinen Film und meine Gedanken mit ihren Worten genau getroffen. Ich werde diese Rede noch lange in meinem Herzen tragen. Ich danke Ihnen.

Dies ist ein besonders historischer Ort und an einem für mich sehr besonderen Tag.

Allerdings muss ich vorwegnehmen, liebe Frau Steinbach, dass sie mit diesem Preis sich sämtliche Sympathien meiner Eltern verspielt haben, denn bis zum heutigen Tag war eine kleine elektrische Eisenbahn über Jahrzehnte dass unangefochtene Geburtstagsgeschenk Nummer eins, aber eben nur bis heute und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Franz Werfel Preis für sehr sehr lange Zeit die Liste meiner schönsten Geburtstagsgeschenke anführen wird.

Ich möchte mich aber vor allem bei Ihnen und der Jury von Herzen für diesen Preis bedanken. Ein Preis, der sowohl das filmische Kunstwerk als auch den Inhalt und das Thema würdigt.

Daher nehme ich den Preis stellvertretend für alle Wolfskinder an und teile ihn mit den Menschen, die mich über die letzten sechs Jahre begleitet, unterstützt und gefördert haben. Die mich auch gegen alle Widerstände ermutigt haben, diesen Film zu machen.

So einen Film macht man nicht alleine und die Zeit würde nicht ausreichen, alle hier zu nennen, denn die Liste ist lang und umfangreich. Vom historischen Berater beim Drehbuchschreiben, über den ausgezeichneten Koch am Filmset, den Schauspieler Jürgen Vogel, mit dem mich immer noch eine Freundschaft verbindet, obwohl er erstmals bei „WOLFSKINDER“ komplett aus einem Film rausgeschnitten wurde, die geduldigen Eltern der Kinderschauspieler, die Schneidrinnen der Kostüme, die Kinobetreiber, die den Film in ihren Kino zeigen, die Partner und Unterstützer, die mir vertrauensvoll Geld für den Film zur Verfügung gestellt haben und ihn auf die Leinwand gebracht haben... mit all diesen Menschen teile ich diesen Preis.

Als ich vor über 6 Jahren angefangen habe, den Film die „WOLFSKINDER“ vorzubereiten, hatte ich von Anfang an diese Worte im Kopf.

Ein Zitat von Simone Weil:

"Die Entwurzelung ist bei weitem die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaft. Wer entwurzelt ist, entwurzelt. Wer verwurzelt ist, entwurzelt nicht. Die Verwurzelung ist vielleicht das wichtigste und meistverkannte Bedürfnis der menschlichen Seele." Zitat Ende

Als der Film Ende August diesen Jahres in die deutschen Kinos kam, gab es ein erfreuliches und großes Medieninteresse.

In diesem Zusammenhang hat eine Tageszeitung meinem Film Wolfskinder eine komplette Seite gewidmet, worüber ich mich natürlich sehr gefreut habe. Allerdings musste ich während des Lesens immer mehr erkennen, dass der Autor des Artikels, Wolfskinder nicht so verstanden hatte, wie ich es mir gewünscht hätte.

Was das eben genannte Zitat von Simone Weil betrifft, so meinte diese Zeitung, ich zitiere:

„ Wie impertinent es ist, sich den Segen für eine Geschichte, die Täter durch Aussparung zu Opfern umschminkt, bei einem Zitat über „Entwurzelung“ von der durch die Deutschen entwurzelte Simone Weil zu holen, dafür fehlen einem dann doch die Worte.“ Zitat Ende.

Es ist richtig, dass Simone Weil von Deutschen entwurzelt wurde, aber nicht von deutschen Kindern. Nicht von Kindern, die hungernd und elternlos durch litauische, böhmische oder hessische Wälder gezogen sind.

Und genau darin liegt der Kern meines Filmes und der Aussage meinen Filmes, um deren Verständnis ich stets bemüht bin.

Es geht um Flüchtlinge. Um Flüchtlinge, die auch noch Kinder waren und ohne ihre Eltern und Heimat waren.

Kinder, die in einer erwachsenen Welt ums nackte Überleben gekämpft haben, ohne politischen oder religiösen Hintergedanken.

Kinder, die einen viel zu frühen Kampf gegen Hunger, Tod und Krankheit kämpfen mussten und sich Ihrer Identität teils nicht mehr sicher waren.

Diesen Überlebenskampf der Kinder, kann man nicht politisch instrumentalisieren, denn er ist nicht politisch.

Wie kann denn der Kampf ums Überleben politisch sein? Wie kann das Recht auf Kindheit und Erwachsen werden von politischen Werten abhängen?

Das was den Kindern passiert ist, ist eine menschliche Tragödie. Ein Schicksaal, dass das ganze folgende Leben dieser Menschen beeinflusste und noch beeinflusst.

Und diese Tragödien sind allgegenwärtig.

Eine dieser vielen Tragödien ist die Geschichte meiner Mutter, die mit ihren Eltern und ihrem Bruder das Zuhause im ehemaligen Ostpreußen verlassen musste und aus zwei Koffern ein neues Leben in einer fremden Umgebung beginnen musste. Das Interesse an meiner Familiengeschichte hat mich über Umwege zu dem Schicksaal der Wolfskinder geführt und ich begann mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es ließ mich nicht mehr los, zu erfahren was diese Kinder erlebt, erleidet und durchgestanden haben, damals nach Kriegsende im Baltikum. Und parallel dazu sah ich Kinder auf der ganzen Welt, die ein ähnliches Schicksaal, wie diese Wolfskinder teilten.

Gestern, heute und morgen.

Denken wir an die Wolfskinder aus Litauen, wie ich sie in meinem Film beschrieben habe, denken wir an die Wolfskinder, die täglich über das Mittelmeer strömen, wenn sie es denn schaffen, denke wir an die Wolfskinder im Nahen Osten, denken wir an die Wolfskinder in der Ukraine... über all auf dieser Welt finden wir sie.

Die Uno hat 2013 Zahlen veröffentlicht, die besagen, dass zum ersten Mal seit dem 2.Weltkrieg die Zahl der Flüchtlinge weltweit über die 50 Millionen Marke geklettert ist und von diesen 50 Millionen Menschen sind die Hälfte, Kinder.

Diese Kinder, die zum Teil Waisenkinder sind, sind Kinder die entwurzelt wurden und deren politische Gesinnung nicht relevant ist, wenn sie versuchen zu überleben.

Und genau deswegen sind die Hauptdarsteller in meinem Film und all die vielen tausende Wolfskinder auf der Welt keine Täter.

Sie sind keine Täter die zu Opfern geschminkt wurden – es sind einfach nur Kinder.

Kinder: mit einem Überlebenswillen, einem Wunsch nach Familie und einer Sehnsucht nach Kindheit?

Es ist meine ganz persönliche Meinung, dass man schon als Kind Wurzeln schlagen und sich eine eigene Identität aufbauen sollte. Dafür braucht es ein Zuhause und eine Familie. Das ist ein Recht, für das wir uns stark machen sollte - losgelöst von jeglicher Instrumentalisierung.

Dies war von Anfang an die Absicht und Botschaft hinter meinem Film. Die meisten Menschen, die mich und den Film begleitet habe, haben das sofort verstanden und es war ein großartige Erfahrung, die ich machen durfte, als ich mit „WOLFSKINDER“ ein wenig um die Welt gereist bin.

Für fast alle, war der Begriff und das Schicksaal der Wolfskinder unbekannt und sie waren dankbar darüber zu erfahren – wollten sogar mehr wissen.

Beispielhaft war eine Vorstellung in Amerika. Im Rahmen des Filmfestes von Chicago gab es ein Schüler Screening, zu dem am Vormittag ca. 400 Jugendliche aus den Vororten Chicagos kamen. Ich hatte Bedenken, dass der Film die Kinder durch seine Dialogarmut und Aktionlosigkeit langweilen würde und sie spätestens nach ein paar Minuten zu ihren Mobiltelefonen greifen würden. Aber dies war nicht so. Sie haben den Film konzentriert zu Ende geschaut und im Anschluss haben wir über eine Stunde über das Thema gesprochen. Und auch diese Kinder, denen das Baltikum nicht so geläufig war, zogen ihrer Parallelen auf heutigen Flüchtlingskinder.

Das ist jetzt fast genau ein Jahr her und vor ein paar Tagen bekam ich eine Email von der Lehrerin und sie sagte mir, dass die Kinder immer noch über Wolfskinder sprechen.

Das Verständnis dieser Jugendlichen hat mich tief beeindruckt.

Genau wie eine kleine Reise, die ich auf Einladung des Goethe Instituts Anfang des Jahres durch Litauen machen durfte. Wir spielten den Film eine Woche lang jeden Abend in einer anderen Stadt vor ausverkauften Sälen und im Anschluss gab es immer lange Gespräche über den Film, aber auch über den Inhalt.

Es waren zu meiner großen Freude sogar noch lebende Wolfskinder bei den Screenings, vor deren Anwesenheit ich großen Respekt hatte.

Als der Film 2012 seine Premiere in Venedig feiern durfte war ich lange nicht so aufgeregt, wie in Vilnius, als einige Wolfskinder im Publikum saßen, denn ich war mir der Verantwortung immer bewusst, dass ich zwar fiktiv aber dennoch über das Schicksaal von vielen tausend Menschen mit meinem Film erzählt habe.

Umso glücklicher und erleichterter war ich, als mir diese Überlebenden nach dem Film immer noch wohlgesonnen waren und sich durch den Film verstanden und erkannt fühlten.

Es war und ist für mich als Filmemacher ein äußerst befriedigendes und glücksbringendes Gefühl zu sehen, wie „WOLFSKINDER“ Menschen zum Nachdenken und zum Weiterdenken anregt, denn das sind Menschen, die verstehen, worin der Kern dieser Geschichte liegt.

Allerdings hätte ich mir nie träumen lassen, dass mich meine Reise mit den „WOLFSKINDER“ einmal hier hin führt. Zu diesem großartigen Preis, der das Wichtigste honoriert, was wir in unserer Gesellschaft haben, für das aber leider zu viele Menschen auf dieser Welt täglich kämpfen müssen – unsere Menschenrechte.

Liebe Frau Steinbach, liebe Jury ich danke Ihnen für diese Anerkennung von Herzen.

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