Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2010

Erika Steinbach MdB Vorsitzende der Stiftung

Ansprache

Anrede,

die Stiftung „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ (ZgV) besteht in diesem Jahr bereits zehn volle Jahre und zum fünften Male verleihen wir heute unseren Franz-Werfel-Menschenrechtspreis.

Unsere Stiftung, gegründet von deutschen Heimatvertriebenen, will die Vertreibungsopfer des 20. Jahrhunderts der Vergessenheit entreißen.

Die Idee ethnisch homogener Nationalstaaten ist eine der Hauptursachen für Vertreibungen von ganzen Volksgruppen. Nicht wenige Nationen stellten im Kontext der Vertreibungen sowohl Opfer als auch Täter, zeitlich versetzt oder sogar gleichzeitig.

Mehr als 30 Völker Europas haben im 20. Jahrhundert in Europa und seinen Grenzgebieten als Ganzes oder in Teilen ihre Heimat verloren.

Die Stiftung ZgV stellt sich an ihre Seite und zeichnet mit diesem Preis couragierte Männer und Frauen aus, die Fürsprecher für die Schwächsten in den Verwerfungen der Geschichte waren und sind.

Mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis können Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich insbesondere gegen die Verletzung von Menschenrechten durch

Völkermord, Vertreibung oder bewusste Zerstörung nationaler, ethnischer oder religiöser Gruppen gewandt haben.

Wer in diesem Sinne beispielgebend politisch, künstlerisch, philosophisch oder durch praktische Leistungen gewirkt hat, kann mit unserem Preis ausgezeichnet werden.

Mit der heutigen Preisverleihung ehren wir einen Mann, der durch sein Wirken maßgeblich zu einer offenen Vertreibungsdebatte in der Tschechischen Republik, seinem Heimatland, beigetragen hat.

Die Jury hat einmütig entschieden, außerhalb unseres Zweijahresrhythmus, heute den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis an den Autor und Regisseur David Vondráček zu verleihen.

Seit längerem beschäftigt er sich als mutiger Filmemacher mit der mitteleuropäischen Zeitgeschichte auf der Grundlage von Zeitzeugenberichten.

In den letzten Jahren konzentrierte sich David Vondráček auf die sogenannten weißen Flecken der tschechischen Geschichte in der Zeitspanne zwischen 1945-1948, die zugleich aber auch deutsche Geschichte ist.

Und ich muss gestehen, dass beim Studium seiner Vita und seines Schaffens auch bei mir ein weißer Fleck gefüllt wurde.

In seiner Dokumentation „Adieu Böhmischer Winkel“ beschäftigt er sich mit der Vertreibung der tschechischen Minderheit mit deutscher Staatsangehörigkeit aus dem Glatzer Bergland durch die polnische Verwaltung. Nicht nur aufgrund eigener Familiengschichte weiß ich natürlich, dass die deutsche Bevölkerung aus Schlesien vertrieben wurde. So auch meine Onkel und Tanten, dass aber auch die kleine tschechische Volksgruppe durch Polen vertrieben wurde, das war mir bis dahin unbekannt.

Ausschlaggebend für unsere Preisverleihung war das vorerst letzte Vondráček-Opus, sein Dokumentarfilm „Töten auf tschechisch“. Im Mai dieses Jahres wurde er zur besten Sendezeit vom tschechischen Fernsehen ausgestrahlt und rief ein stürmisches Echo samt aggressiv negativen Reaktionen hervor. Die Zuschauer wurden durch die unverblümt gezeigte Realität der Nachkriegszeit zutiefst schockiert.

Der tschechische internationale Schachgroßmeister Ludek Pachman hat zu der gewalttätigen Nachkriegsgeschichte bereits 1982 in einem Interview gesagt: „Ich habe es selbst gesehen… Bewaffnete Banditen, die sich ‚Partisanen‘ nannten, holten willkürlich deutsche Mitbürger aus ihren Häusern. An der Einmündung zur Wassergasse hingen drei nackte Leichen, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, die Zähne restlos herausgeschlagen, der Mund nur noch ein blutiges Loch“… und es folgten weitere Schilderungen von Pachman, die mit der Feststellung abschlossen: „Ich berichte über dieses schreckliche Geschehen nicht, um die Menschen meiner Heimat anzuschwärzen. Ich berichte, weil ich davon überzeugt bin, dass es zu einer wahren Völkerverständigung nur dann kommen kann, wenn sich beide Seiten vorbehaltlos zu dem bekennen, was war.“

Der Schirmherr unserer heutigen Preisverleihung, Staatsminister Bernd Neumann, ein großer Liebhaber, Kenner und Förderer des Films, schreibt in seinem Grußwort zu David Vondráčeks Dokumentarfilm: „Seine eindringlichen Bilder verschließen sich jeder Relativierung und berühren durch ihre dokumentarische Distanz. Damit hat Vondráček ein in Tschechien wie in Deutschland brisantes Thema mutig aufgegriffen und in die mediale Öffentlichkeit gebracht. Dabei war er sich bewusst, dass ihm nach der Ausstrahlung seines Films möglicherweise nicht nur Sympathie entgegengebracht würde. Sein Film dient aber nicht der Aufrechnung der schrecklichen Ereignisse. Vondráček folgt vielmehr konsequent dem Weg der schlichten Erkenntnis, dass nur die Wahrheit zum Miteinander führen kann.“

Das deutsch-tschechische Verhältnis war über weite Strecken, insbesondere zwischen der Mitte des 17. und des 19. Jahrhunderts vom friedlichen Neben-, oft auch Miteinander, vom gegenseitigen Geben und Nehmen geprägt.

Die über tausend Jahre des deutsch-tschechischen Zusammenlebens gestalteten sich 800 Jahre lang unter dem Dach des Heiligen Römischen Reiches.

Und wann immer ich mich im Frankfurter Rathaus, dem Römer, zu festlichen Anlässen befinde, fällt mein Blick auf die Bildnisse der Herrscher dieser Epoche. Unter ihnen hat Karl IV., der die erste Universität im deutschsprachigen Raum in Prag errichten ließ, eine besondere Stellung. Mit der Goldenen Bulle von 1356 regelte er nicht nur die Königswahl und die Kurfürstenrechte, sondern auch Bestimmungen über den Landfrieden und die Beschränkung des Faustrechtes.

Die nationalen Konflikte, deren Folgen im 20. Jahrhundert schließlich eskalierten, haben ihren Ursprung erst im 19. Jahrhundert.

Die Ereignisse der 30er und 40er Jahre, vom Vertrag von St. Germain 1919, dem Münchner Abkommen 1938 über die Protektoratszeit mit ihren Schrecken für die Tschechen und ab 1945 die Vertreibung der Deutschen sind der dramatische Teil des deutsch-tschechischen Miteinanders.

Sie wurden zum Gegeneinander schlimmster Art.

Nach über sechs Jahrzehnten geht es bei der Aufarbeitung der Vergangenheit nicht um „Schuld und Sühne“, sondern um offenen Dialog.

Ich bin überzeugt davon, dass wahrhaftiger Umgang mit Fakten der europäischen Geschichte schneller zu der Erkenntnis führt, dass die Völker Europas auf einem gemeinsamen kulturellen Fundament leben, dass wir mit der Erkenntnis des Verbindenden die Schrecknisse der Vergangenheit in Offenheit gemeinsam überwinden können.

Ich freue mich sehr, dass Petr Uhl, Mitverfasser der Charta 77, die Laudatio auf unseren Preisträger halten wird.

Lieber Herr Uhl, Sie sind ein furchtloser, mutiger Mann, der für seine offen geäußerten Gedanken zwischen 1969 und 1984 auch mehrfach Gefängnis in Kauf genommen hat. Das erste Mal wurden Sie 1969 nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei inhaftiert. Es hat Sie nicht davon abgehalten, weiter für ihre Überzeugungen einzustehen. Sie als tschechischen Linken und mich als deutsche Konservative eint die Überzeugung, dass Menschenrechte unteilbar sind, dass sie für jedermann, unabhängig von Glauben oder Volkszugehörigkeit, streitbar verteidigt werden müssen. Und es ist unsere Aufgabe, sich offensiv an die Seite der Opfer zu stellen, an die Seite aller Opfer.

Lieber Petr Uhl, Sie haben das Wort, um unseren Preisträger David Vondráček zu ehren.

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