Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2010

Dank des Preisträgers David Vondráček, Filmemacher

Sehr verehrte Frau Steinbach,
lieber Herr Uhl,
sehr geehrte Damen und Herren.

Ich muss gestehen, dass als mich vor einigen Tagen Herr Petr Uhl angerufen hat, dass er zu meiner Person eine Lobrede vorbereitet, so meinte ich zunächst, dass es sich um einen Witz handelt...    

Denn als ich in den Achtzigerjahren als Student die vom kommunistischen Regime in meiner Heimat gestörten tschechischen Sendungen des Radio Freies Europa hörte, so bewunderte ich Petr Uhl, diesen Freund des späteren Präsidenten Vaclav Havel, der bereits neun Jahre im kommunistischen Gefängnis verbracht hat. Ich bewunderte seine Kompromisslosigkeit, mit der er sich für die Menschenrechte in der damaligen Tschechoslowakei eingesetzt hat. Diesen Charakterzug behielt er auch später und er zeichnet ihn auch heute noch aus. Ich kann mich erinnern, dass er an der Jahrtausendwende im Amt des Vorsitzenden des Rates der CR-Regierung für Nationalitäten sich sehr aktiv für die Entschädigungen für Bürger aus den nationalen Minderheiten eingesetzt hat – den Deutschen, Ungarn und Kroaten, der Bürger der Tschechischen Republik, die nach dem Kriegsende in der Tschechoslowakei für Sklavenarbeiten eingesetzt wurde und viele von ihnen als Heimatlosen ohne Staatsbürgerschaft gelebt haben. Petr Uhl war in der Lage, sich bei diesen Menschen für das staatliche Unrecht zu entschuldigen, ähnlich wie sich sein Freund Vaclav Havel nach dem Fall des undemokratischen Regimes bei den vertriebenen Sudetendeutschen entschuldigt hatte.    

Aus meiner Verlegenheit, warum ausgerechnet ich den geehrten Franz-Werfel-Preis bekommen soll und dass das Laudatio eben Petr Uhl vortragen wird, befreite mich eben er, als er mir sagte, dass er meine Filmreportagen kennt und dass die dort geschilderten Geschichten seinen menschenrechtlichen Initiativen entsprochen haben. Meine Tätigkeit jedoch ist viel einfacher als die seine von damals, denn heutzutage gibt es eine Redefreiheit in einem Europa fast ohne Grenzen.   

Meine Ambition ist, Lebensgeschichte einfacher Menschen verschiedener Nationalitäten zu verfilmen, die sich irgendwie gegen ihren Willen im zwanzigsten Jahrhundert verirrt haben und zu Spänen wurden dort, wo es „mächtig abgeholzt wurde“.  Zu diesem Abholzen gehören in der mitteleuropäischen Geschichte die Vertreibungen ganzer Volksgruppen aus ihrer angestammten Heimat, so auch der Sudetendeutschen aus dem Land, in dem ich geboren wurde.    

Meine Ambition war und ist die Authentizität des menschlichen Erlebnisses aufzufangen und zwar in einer Grenzsituation, in der es um alles geht... Ich versuche nicht, irgendwelche weitreichenden ideologischen Beschlüsse zu fassen, ich will die Geschichte selbst erzählen lassen. Dennoch muss ich zugeben, dass mir eine eher skeptischere Betrachtung der Geschichte näher ist, in der man nur selten ein Verständnis und Glück erfährt. Es steht mir die Ansicht des Philosophen nah, der in dieser Stadt gestorben war – Arthur Schopenhauer, wonach das unvermeidliche Los des Menschen das Alleinsein und Unverständnis ist...

Auch mein Filmdokument „Tötung auf Tschechisch“ endet keineswegs optimistisch. Der siebenundsechzig jährige Walter Urban aus nordböhmischen Postelberg, der aus einer tschechisch-deutschen Familie stammt und dem einen Monat nach dem Kriegsende die tschechoslowakischen Soldaten seinen Vater getötet haben, erklärt zum Schluss des Filmes: „Man hat meinen Vater getötet. Wen interessiert das heute? Niemanden..., niemanden...“.

Und dennoch rief mich Herr Walter Urban kurz nach der Ausstrahlung des Film, um mir mitzuteilen, dass er überrascht sei von den nachbarschaftlichen Teilnahme an seinem Schicksal und dass sich vor allem die jüngste Generation dafür interessiert, was in ihren Heimatsorten vor fünfundsechzig Jahren geschah. Genauso ich wurde von dem Ausmaß der offenen Diskussion in der tschechischen Presse überrascht, die die Entdeckung neuer Massengräber der ermordeten sudetendeutschen Bevölkerung betraf. Ich meine, dass zum Durchbrechen dieses mitteleuropäischen Tabu auch die erste Verleihung des Franz-Werfel-Preises an die damalige Bürgermeisterin von Wekelsdorf, Frau Věra Vítová, und die Bürgerrechtler Jan Piňos und Petr Kulíšek, die Initiatoren des Versöhnungskreuzes, mächtig beigetragen hat.     

Großen bürgerlichen Mut zeigte Frau Helena Dvořáčková aus dem Prager Stadtviertel Bořislavka. Sie sagte mir, dass sie ihr Lebens lang das Bewusstsein dessen quält, dass es vor ihrer Familienvilla ein Massengrab der deutschen Prager gibt, die kurz nach dem Kriegsende ermordet wurden. Sie stellte mir die Filmaufnahmen dieser schrecklichen Hinrichtung  zur Verfügung, die ihr Vater Jiří Chmelíček aufgenommen hat und die den Prolog meines Films bilden. Diese fallenden schwarz-weißen Gestalten kamen in die Geschichte des Filmdokuments hin. Denn es handelt sich um die einzig existierenden Filmaufnahmen der sterbenden deutschen Zivilisten in jenem „Krieg nach dem Kriegsende“, die im Mitteleuropa verlief. Dank des globalen Netzes laufen diese Aufnahmen die ganze Welt um. Ich benutzte sie nicht aus einem selbstzweckmäßigen Sadismus oder – wie ich auch manchmal in der Tschechei gehört habe – als einen politischen Bissen für die Sudetendeutsche Landmannschaft, sondern als ein grausames aber wahrhaftiges Geschichtsbild. Frau Helena Dvořáčková sagte dazu: „Ich stellte ihnen den Film meines Vaters deshalb zur Verfügung, dass man sieht, wie grausame und rechtlose Zeit es war...“.    

Diese Aufnahmen haben bereits ihren Platz in der Kategorie der grausam suggestiven Bilder, die das Gewissen der Menschheit erschüttern. Ich denke an die Fotos der toten Kindern aus der Genozide an Armeniern, die so meisterhaft der Schriftsteller bearbeitet hat, nach dem der Preis benannt wird, der ich heute bekam, ich denke jedoch auch an die Fotos aus den nazistischen Konzentrationslagern, an Aufnahme aus Vietnam und so weiter.    

Es wird gesagt, dass man auf die andere Seite nicht springt, bevor er in die Tiefe des Abgrunds nicht hineinschaut hat. Ich wollte mit meinen Filmdokumenten in diesen Abgrund schauen, dass wir zum Abspringen bereit würden... Damit die Herzen aus Eis, die manchem von uns infolge unverarbeiteten Unrechts immer noch in der Brust schlagen, damit diese eiskalten Herzen auftauen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

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