Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2005

Petra Roth, Oberbürgermeisterin von Frankfurt a.M.

Begrüßung

Ein großer Philosoph, der größte unter den Aufklärern vor 200 Jahren, Immanuel Kant, sagte: "Die Erde ist eine Kugel, darum können wir uns nicht ins Unendliche zerstreuen, sondern müssen endlich uns doch nebeneinander dulden." Von der Einsicht des Philosophen zu ihrer tatsächlichen Umsetzung, meine Damen und Herren, indes ist es nicht nur ein weiter Weg, sondern viele der Nationen, denen diese Leitsatz gelten sollte, haben dieses Ziel noch nicht erreicht.

Auf Ihrem Weg, meine Damen und Herren, die Sie heute Nachmittag hier in der Paulskirche sind zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises sind, Sie sind durch tanzende, fröhliche, bunte Gruppen, die in der Innenstadt die "Parade der Kulturen" angeführt haben, geschritten. 160 Nationen leben in Frankfurt und zeigen heute diese Kultur in Form dieser Parade. In Frankfurt sind in den letzten fünf Jahren 20 000 Ausländer zu Frankfurtern, wie ich sage, geworden, denn sie lebten vorher hier und wollten Deutsche und damit Frankfurter werden. 50 Prozent der Jugendlichen bis 18 Jahren haben einen Hintergrund von Migranten und von diesen 50 Prozent sind fast alle sprachlich integriert. Sie sehen also, meine Damen und Herren, auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, in dieser Stadt, ist das Leben miteinander möglich, es geht.

Ich habe heute Nachmittag Sie im Namen der Stadt Frankfurt sehr herzlich zu begrüßen und tue dies auch voller Überzeugung. Zunächst den Mann, deretwegen wir uns hier versammelt haben. Ich begrüße den diesjährigen Preisträger des Franz- Werfel-Menschenrechtspreises, Seine Exzellenz Dr. Franjo Komarica. Die Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Frankfurterin, Frau Erika Steinbach, die weiteren Mitglieder der Jury, Kaiserliche Hoheit Dr. Otto von Habsburg, Hilmar Kopper und Milan Horacek.

Herzlich Willkommen dem Laudator Dr. Joachim Gauck, Vorsitzender des Vereins - Herr Gauck hat schon so verantwortungsbewusste Aufgaben in seinem Leben wahrgenommen, dass ich Ihnen wirklich nicht alles vortragen möchte, für was er heute hier bei uns ist: Er ist der Vorsitzende des Vereins Gegen Vergessen - Für Demokratie, früher Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Ich begrüße die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, des Europäischen Parlamentes, Herrn Horacek, des Hessischen Landtages, der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats, und ganz besonders begrüße ich Sie, Herr Staatsminister Cords, der Sie heute für die Hessische Landesregierung und Vertretung des Schirmherren bei uns sind.

Obwohl noch immer, meine Damen und Herren, viele einzelne Menschen und ganze Völker die Gegenwart oder auch nur die Nähe eines anderen oder als anders empfundenen nicht ertragen können, ist diese Aussage und der Wunsch von Kant nicht erfüllt. Und diese Menschen, diese Nationen, leiten daraus das Recht ab, denjenigen zu vertreiben oder gar zu vernichten, wenn die Umstände und Machtverhältnisse ihnen die Möglichkeit dazu geben.

Das Wort Vernichtung ist uns leider geläufig. Die große Zäsur, so haben wir lange gehofft, sollte der Zweite Weltkrieg sein. Fürchterliches Unrecht mussten Menschen vieler Nationen vor, während und in der Folge des Krieges erleiden, sie verloren Heimat und Leben. So schrecklich war das Unrecht, dass die Erinnerung daran genügen sollte, meine Damen und Herren, es nie wieder geschehen zu lassen, dennoch geschieht Furchtbares, und es geschieht auch gegenwärtig.

Es geschieht in Darfur im Sudan, aber selbst in Europa, dessen Geschichte einer friedlichen Vereinigung ohne das gemeinsame "Nie wieder" nach 1945 so nicht zustande gekommen wäre, haben sich Vertreibungsverbrechen unter dem Begriff "ethnische Säuberungen" wiederholt. Noch immer stehen fremde Truppen auf dem Balkan, weil aus einem vielfach nicht akzeptierten Waffenstillstand noch immer kein tragfähiger Frieden geworden ist.

Es ist gut und richtig, dass Institutionen solche Vorgänge dokumentieren und erforschen, um solche Konfliktherde zu identifizieren, ihrem Ausbruch im Ansatz entgegenzuwirken und nach Strategien der dauerhaften Befriedung und Versöhnung zu suchen. Hierfür wiederum ist die Dokumentation des Geschehens der erste Schritt. Ich will die Laudatio für den Preisträger nicht vorwegnehmen oder in Teilen mich parallel dazu äußern, aber ebenso wichtig ist - neben der Recherche und der Konfliktsuche und der Deeskalation -, dass es Menschen gibt - und es ist so wichtig, dass wir Menschen, die darin tätig sind, namhaft machen -, die durch ihr Eintreten oftmals unter Gefahr für das eigene Leben, in der heutigen Zeit auch noch, dem tobenden Wahnsinn entgegengetreten sind.

Dazu mahnt ja auch der Namensgeber dieses Preises, Franz Werfel, der eines der großen Vertreibungsverbrechen der Geschichte, die Vernichtung der Armenier im Verlauf des Ersten Weltkrieges, mit großer Gestaltungskraft literarisch verarbeitet und so ins Bewusstsein der Leser gehoben hat. Der Vorgang ist im übrigen vor wenigen Wochen im Deutschen Bundestag in Berlin beraten worden und heute noch einmal als ein Verbrechen bestätigt worden. Schließlich wurde Franz Werfel, der jüdische Schriftsteller, selbst Opfer und musste wegen der Verfolgung durch die Nazis fliehen, und er starb im Exil.

Und deshalb, meine Damen und Herren, ist es geradezu ein Segen, dass es Menschen gibt wie Bischof Komarica, und zugleich ist es aber auch traurig und macht nachdenklich, dass es noch immer solche Menschen geben muss. Sie, sehr verehrter Bischof Komarica, Sie verdienen unser aller Unterstützung mit diesem Preis. Sie ehren den Preis. Herzlichen Glückwunsch im Namen der Stadt Frankfurt am Main.

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