Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2005

Erika Steinbach MdB Vorsitzende der Stiftung

Rede zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises am 25. Juni 2005 an Bischof Dr. Franjo Komarica Bischof der Diözese Banja Luka

Zum zweiten Male verleiht die Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN (ZgV) ihren Franz-Werfel-Menschenrechtspreis.

Ich danke Ihnen, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Roth, und dem Frankfurter Magistrat, dass uns die Paulskirche auch in diesem Jahr dafür zur Verfügung steht.

ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN – Was heißt Vertreibung? Dahinter verbirgt sich nicht nur Verlust von Menschenwürde, von Hab und Gut, sondern traumatisch die Entwurzelung aus dem vertrauten Lebensraum – aus der Heimat.

Die Worte Heimatliebe, Heimatland, Heimathafen, Heimaterde oder heimführen umschreiben Heimat als einen Ort der Geborgenheit.

Wird der Mensch heimatlos, wird ihm diese Geborgenheit gar mit Gewalt entrissen, erzeugt es einen tiefen, ziehenden Schmerz. Nichts drückt die damit verbundenen seelischen Verwerfungen besser aus als der Begriff Heimweh.

„Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde“ schrieb Stefan Zweig in seinen Erinnerungen. Die Art und Weise wie die Heimat entrissen wurde lässt viele aber auch mit Beklemmung oder mit Alpträumen daran zurückdenken. Das sehnsuchtsvolle Bild der Heimat ist für Menschen vieler Völker mannigfach verschleiert durch Todesangsterfahrung.

Hannah Arendt, im ostpreußischen Königsberg aufgewachsen, gehörte zu den Vertriebenen der Hitlerdiktatur, die dem Genozid entrinnen konnten.

Für sie gab es keinen Determinismus, der in die Barbarei führen muss.

Ihr Werk ist bis heute eine Schatzkammer für politisches Denken. Mit ihrem scharfen Intellekt erkannte sie als eines der brisantesten Probleme der modernen Zivilisation das Phänomen der Flüchtlinge.

Das erste Menschenrecht ist nach Hannah Arendt das Heimatrecht, denn, so sagt sie „der erste Verlust, den die Rechtlosen erlitten, war der Verlust der Heimat. Die Heimat verlieren heißt die Umwelt verlieren, in die man hineingeboren ist und innerhalb derer man sich einen Platz geschaffen hat, der einem sowohl Stand und Raum gibt“.

Zwischen 60 und 100 Millionen Menschen wurden im 20. Jahrhundert vertrieben oder fielen im Zuge der Vertreibung einem Genozid zum Opfer. Eine nahezu unvorstellbare Zahl.

Unsere Stiftung hat sich vier gleichrangige Aufgaben gestellt, deren Kern immer die Menschenrechte sind:

Erstens:

Zweitens:

Drittens:

Viertens:

Ich freue mich, lieber Herr Dr. Dabag, dass Sie heute zu Ehren des diesjährigen Preisträgers anwesend sind.

Mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis können Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die durch ihr Handeln das Verantwortungsbewusstsein für Menschenrechte schärfen.

Der Preis kann an Einzelpersonen, aber auch an Initiativen oder Gruppen verliehen werden, die sich gegen die Verletzung von Menschenrechten durch Völkermord, Vertreibung und die bewusste Zerstörung nationaler, ethnischer oder religiöser Gruppen gewandt haben.

Grundlage für die Beurteilung sind:

Das IV. Haager Abkommen von 1907

die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 der Internationale Pakt von 1966

die Entschließung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen von 1998 und

die Kopenhagener Kriterien des europäischen Rates von 1993.

Wer in diesem Sinne beispielgebend politisch, künstlerisch, philosophisch oder durch praktische Leistungen gewirkt hat, kann durch den Franz-Werfel- Menschenrechtspreis ausgezeichnet werden.

Im Jahre 2003 hatten wir zwei Preisträger.

Neben Mihran Dabag war es eine Gruppe tschechischer Studenten, die sich des sudetendeutschen Schicksals in der tschechischen Republik gegen immensen politischen Gegenwind aus Prag angenommen hatte. Von hier aus grüße ich in Dankbarkeit die jungen Menschen, die gegen eine verhärtete Politik mutig handelten.

Heute fällt mit dem ausgewählten Preisträger Bischof Dr. Franjo Komarica, den ich mit großer Freude sehr herzlich begrüße, unser Blick auf Bosnien- Herzegowina. Die grauenhaften Massaker in dem zerbrechenden Jugoslawien am Ende des 20. Jahrhunderts mitten in Europa haben uns alle entsetzt. Das jüngst entdeckte Video über die Verbrechen in Srebrenica war ein Schock.

Christian Schwarz-Schilling hat sich unermüdlich für die Verfolgten und die Opfer von Mord und Vergewaltigung in den postjugoslawischen Staaten eingesetzt. Ich begrüße ihn heute mit besonderer Freude hier in der Paulskirche.

Der seinerzeitige UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Jose Ayala Lasso analysierte 1995 zu den Vorgängen auf dem Balkan:

„Ich bin der Auffassung, dass, hätten die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Implikationen der Flucht, der Vertreibung und der Umsiedlung der Deutschen nachgedacht, die heutigen demographischen Katastrophen, die vor allem als ethnische Säuberungen bezeichnet werden, vielleicht nicht in dem Ausmaß vorgekommen wären...“

Es ist wohl wahr, die ungeheilten Vertreibungsverbrechen im 20. Jahrhundert lassen bis heute immer und immer wieder rund um den Globus Vertreibung als probates Mittel von Politik erscheinen.

Aber die Erkenntnis wächst, dass die ausgeblendeten und sogar abgeleugneten Genozide, Deportationen und Vertreibungen eine Ermutigung für „ethnische Säuberungen“ in Gegenwart und Zukunft sind.

Die seinerzeitige Empfehlung des tschechischen Politikers Zeman an die israelische Regierung, es mit den Palästinensern genau so zu halten, wie es 1945 die tschechoslowakische Regierung mit den Sudetendeutschen und Ungarn in die Tat umgesetzt hat, spricht Bände.

Es ist die Aufgabe aller, denen Menschenrechte am Herzen liegen, Vertreibung als Mittel von Politik zu ächten. Vertreibung darf sich für die Vertreiber nicht lohnen. Das ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN will durch den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis dazu beitragen.

Diese Stiftung wurde durch die deutschen Heimatvertriebenen gegründet. Der Wille, in Solidarität an der Seite anderer Opfer zu stehen, spiegelt sich in diesem Preis wider. Es muss eine Solidarität der Opfer geben. Davon ist unsere Stiftung geleitet.

Prof. Dr. Peter Glotz und ich sind dankbar, dass so viele Menschen zur Preisverleihung 2005 anwesend sind.

Wir begrüßen die zahlreichen Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, des Bundestages, des Hessischen Landtages, der Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Für unseren Schirmherren Ministerpräsident Roland Koch begrüßen wir Herrn Staatsminister Udo Corts und den Beauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Rudolf Friedrich.

Wir begrüßen die kirchlichen Würdenträger und die Repräsentanten des Bundes der Vertriebenen und natürlich gilt unser Gruß und Dank auch den Mitgliedern der Jury, die unseren heutigen Preisträger einstimmig ausgewählt haben.

Wir freuen uns über die Anwesenheit der diplomatischen Vertreter vieler Nachbarländer.

Ein besonderer Dank gilt den Vertretern der Bundeswehr. Ihre Soldaten helfen auf dem Balkan, das friedliche Miteinander der Volksgruppen zu sichern.

Wie kann man aus den Verwerfungen und den menschlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts ein friedliches und fruchtbares Miteinander für Gegenwart und Zukunft dauerhaft gestalten?

Der große Pole Jan Josef Lipski forderte:

„Wir müssen uns alles sagen“.

Ja, meine Damen und Herren, wir müssen uns alles sagen!

Und die Völker Europas müssen sich alle ihrer Vergangenheit stellen, der guten und der schuldhaften.

Karl Jaspers hat 1958 hier in der Frankfurter Paulskirche diese einfachen Grundsätze in seiner Friedenspreisrede für unverzichtbar gehalten, die über den Tag hinausreichen:

„Erstens: kein äußerer Friede ist ohne den inneren Frieden der Menschen zu halten.

Zweitens: Friede ist allein durch Freiheit. Drittens: Freiheit ist allein durch Wahrheit.“

Ein Viertes füge ich an, weil es unabdingbar hinzugehört:

Der Wille zu vergeben und damit der Wille, die Vokabeln Rache und Vergeltung durch die Worte Verzeihung und Versöhnung zu ersetzen.

Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Gauck, Sie werden gleich die Laudatio für unseren wunderbaren und tapferen Preisträger Bischof Dr. Franjo Komarica halten. Bevor ich das Wort an Sie weiterreiche, gratuliere ich Ihnen von ganzem Herzen zur Verleihung des Heinz-Herbert-Karry-Preises vor wenigen Tagen.

Jetzt aber haben Sie das Wort.

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