Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2005

Dr. Joachim Gauck
Vorsitzender des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie

Laudatio

Anrede!

Frau Steinbach hat in ihrer Einführung die Entscheidung der Jury die Verleihung des Franz Werfel Menschenrechtspreises für unseren Preisträger begründet und wir wollen uns in einem ersten Schritt mit nur ganz wenigen Daten, Herr Bischof, ein wenig mit Ihrem Leben befassen, immerhin wollen wir sagen, wo Sie herkommen.

1946 sind in einer kroatischen Familie in Banja Luka geboren, und zehn Geschwister waren um Sie. Bei Ihnen zu Hause waren schreckliche Dinge, Kriegs- und Rache- Gräuel über das Balkanland gegangen, das wir noch als Jugoslawien in Erinnerung haben, aber in diesem Jugoslawien gab es unterschiedliche Völker mit einem offensichtlich eingefrorenen Hass, der lange und durch den Druck der damaligen Verhältnisse nicht zum Ausbruch kam. Als sich diese Verhältnisse, sprich das sozialistische Jugoslawien auflösten, da kamen sie wieder hoch, die alten Rivalitäten und mit ihnen alte Hassgefühle, und sie waren völlig neu wieder lebendig. Mit Erschrecken sehen wir, dass sich nicht nur gute Dinge wie ein Erbe von Generation zu Generation weitergeben lassen, sonder dass sich die verstörenden und unheilvollen Prägungen und die Lasten der Niedertracht und des Hasses ebenfalls über Generationen weitergeben lassen. Das sollte uns vor einem allzu billigen Optimismus bewahren.

Wir sehen einen jungen Theologie-Studenten, der es immerhin schafft, in Innsbruck

z.T. Theologie zu studieren und sich so Europa nähert. Er studiert fleißig und wird 1972 zum Priester geweiht und 1985 bereits zum Weihbischof in Banja Luka. 1989 wird er dort selbst Bischof, wird dann Teilnehmer der Bischofssynode in Rom und 2002 ist er Vorsitzender der Bischofskonferenz von Bosnien-Herzegowina. Im Krieg 1992 –95 in Bosnien kamen in seiner Diözese Banja Luka 4/5 unter serbische Kontrolle. Durch ethnische Säuberungen wurden über 90 % der katholischen Bevölkerung vertrieben, über 400 Menschen wurden getötet, unter ihnen auch Priester. 98 % der Kirchen und Klöster in diesem Gebiet sind zerstört worden oder zumindest so schwer beschädigt, dass sie unbenutzbar sind. Und das alles, meine Damen und Herren, in einem Land, in dem gar kein Krieg herrschte, Bürgerkrieg war dort nicht, vielmehr wurde systematisch ein Erniedrigungsprogramm von serbischer Seite organisiert, das dann derartiges zur Folge hatte, mit gezielten Kommandoaktionen ist dies alles geschehen und nicht im Verlauf einer Bürgerkriegs- Auseinandersetzung. Trotz des Blicks auf das Schicksal seiner Priester und Gemeinden blieb Bischof Komarica unbeirrt an Ort und Stelle. Er hatte schon vor dem Krieg immer ein friedliches Miteinander von Serben, Kroaten und Muslimen gefordert, er blieb dieser Überzeugung auch während des Krieges treu. Seine Hilfe, seine Aufmerksamkeit und Solidarität galt nun allen Opfern von Unrecht gleich welcher Religion und gleich welcher Volkszugehörigkeit.

Es ist unmittelbar ergreifend, die Zeugnisse seiner Menschlichkeit und Nächstenliebe im Dank und in der Verehrung seiner Mitbürger zu erleben. Ich selber konnte das nur durch die schriftlichen Zeugnisse, die ich zur Kenntnis nehmen konnte. Damals lernte der Bischof, dessen Aufgabe es ja nie sein kann, bewaffneten Widerstand zu leisten, dass es eine Form von Existenz gibt, die ohne Widerstand mit der Waffe zu einer widerstehenden Haltung führen kann. Ich werde nachher noch ausführen, wie man aus einer Opfersituation in eine Situation aktiver Beteiligung geraten kann, aber ich will hier schon vorab einen Satz zitieren, den er in einem seiner zahlreichen Briefe, die er geschrieben hat und Appelle, an Radovan Karadzic gerichtet hat, mitten in dieser fürchterlichen Bedrängnis. „Im Namen aller Katholiken in meiner fast ganz zerstörten Diözese erwarte ich zu Recht, dass Sie anfangen, uns als menschliche Wesen zu behandeln“. Wie weit muss eine Sache gediehen sein, wenn in Frage steht, dass Menschen Menschen sind.

Er wird nicht immer nur mit solchen einfachen die Menschlichkeit des Menschen beschwörenden Appellen zu hören sein, sondern hat ganz konkret die Orte genannt, an denen die Zerstörung wütete. Er hat die Namen der Gefolterten und die Namen der Getöteten in die Ohren derer gebracht, die es nicht hören wollten: der Obrigkeit bei sich zu Hause, aber auch der europäischen Institutionen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich aus dem 1977 erschienenen Buch, in dem alle diese Briefe nachzulesen sind, einen Brief vorlesen, den er an unseren damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl geschrieben hat, ihn erinnernd an seine Zusagen die er ihm beim Katholikentag .gegeben hat. Dieses Buch heißt „In Verteidigung der Entrechteten.“

Dass er blieb, das war vielen, die dort lebten, das letzte Zeichen der Hoffnung. Und dass er nicht nur blieb, sondern half, das hat vielen Menschen schlicht das Leben gerettet. Helfend, wo er konnte mit den wenigen verbliebenen Ordensleuten und Priestern und mit den schwachen Mitteln seiner Caritas , ist er in Zeiten der Unmenschlichkeit ein Mitmensch, ein Bruder geworden. Das ist nicht nur dort von den Betroffenen mit Dankbarkeit angenommen worden, sondern im europäischen Ausland ist sein Wirken vielfach beachtet und mit Preisen und Ehrungen bedacht worden. Es war für ihn sicher eine große Freude, dass die Europäische Volkspartei ihn in Brüssel geehrt und ausgezeichnet hat.

So tritt, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute ein besonderer Mann unter uns, einer, den Gottes Wort und die Liebe zum Menschen leitet.

Hochverehrter Herr Bischof. Sie sind hier an diesem Ort, an dem die Deutschen im

19. Jahrhundert so intensiv um ihre Nation gerungen haben, um die Demokratie und damit um den Rechtsstaat. Hierher kommen Sie, um eine Ehrung zu empfangen, ich freue mich über die Auswahl der Jury, ich beglückwünsche Sie, und hierher in die Paulskirche kommen Sie heute mit Freude und ich sehe es Ihnen an, auch mit einer gewissen Erwartung. Anlass dieser festlichen Stunde ist ja der Preis, von dem wir vorhin gehört haben, ein Preis, den S i e erwarten. Und wir, Ihre Gratulanten, was ist mit uns? Für uns kommen Sie von fern her in das schöne lebenssatte Frankfurt. Und Sie kommen zu uns... wie ein Bote, wie ein Bote, der eine wichtige Nachricht bringt. Zwar wissen wir, dass Ihre Botschaft uns verstören wird, aber wir spüren oder ahnen ein Faszinosum, das um besondere Menschen ist und das auch Ihnen zu eigen ist. Wir preisen ja in aller Regel, was wir entbehren, wovon wir zu wenig haben.

Und so ist der Besuch eines Boten, wie Sie es sind, gleichzeitig eine gute Nachricht für jeden. Wir vermögen neu zu glauben, was an Kraft, an Liebe und Hingabe und Menschlichkeit den Menschen möglich ist.

Von Raoul Hilberg, dem Gelehrten, der die Welt mit seinen substantiellen Arbeiten über die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden bereichert hat, kennen wir die Einteilung der Bevölkerung in Täter, Opfer und Zuschauer. Wenn Sie uns heute als Zeitgenosse begegnen, dann sind wir verlegen, in welche Kategorie, wollten wir Sie denn benutzen, wir Sie einzuordnen hätten. Sie sind ein Zeuge eigener europäischer Schrecken, und Sie besuchen uns, und wir sind ein wenig verlegen und fragen uns, welche Kategorie wir wählen sollen. Täter sind Sie ja nicht. Opfer, das sind Sie schon, Opfer von Unrecht. Aber wie Sie hier vor uns sitzen, befriedet im Innern, da wirken Sie auch nicht wie ein Opfer, eher wie ein lebendiger aktiver Mitmensch. Und Zuschauer? Nun ja, einfacher Zuschauer, wie wir das Wort benutzen, das sind Sie auch nicht. Aber wie fassen wir das? Wir versuchen einmal, dieses Opfer-Dasein und den Zuschauer zusammenzubringen. Und wenn wir Sie nun ehren, kommen wir Ihnen auch näher, wenn wir uns das Zuschauen, das Sie prägt, einmal genauer anschauen.

Als Sie in den 90er Jahren, als dort der Krieg tobte und alle wegliefen, jeder der konnte, nicht freiwillig, sondern vertrieben, als Sie dort blieben, da war das die Anwesenheit eines Sehenden, so lassen Sie mich mal das Zuschauen anders beschreiben. Ihr Blick vermochte Wirklichkeiten wahrzunehmen, vor denen andere lieber die Augen verschlossen. Aber Sie blieben dort mit dieser Qualität eines Sehenden im wahren Sinne des Wortes, Sie nähern sich so dem Krieg, der Unterjochung, Sie sehen das alles an, die ethnischen Säuberungen, Sie nennen Mord Mord und Folter Folter, und Sie achten die eigene Bedrohung nicht.

Wer so wahrnimmt, für den erschließen sich Wahrheiten, vor der Wahrheit kommt solches Wahrnehmen. Und so erblicken wir einen Kriegs- und Vertreibungszeugen, der sich nicht in der Ohnmacht einrichtet. Und das ist eines der besonderen Geschenke, die Sie mitführen mit der Fracht, die Sie mit Ihrem Besuch zu uns bringen. Ihr Sehen und Ihr Wahrnehmen verwandelt Sie nämlich in einen Zeugen. Und ein Zeuge ist etwas anderes als ein bloßer Zuschauer. Zeugenschaft ist ja eine ganz bewusste Haltung, die uns aus dem Opferstatus, den andere uns aufdrücken, herausführt. Wir können vielleicht noch nicht handeln, das Unrecht brechen, eine neue Wirklichkeit heraufführen, aber wir stehen mit unserem Wort, mit unseren Augen, mit unserem Wissen für das, was wir sehen und wir benennen es, wir richten uns nicht in der Ohnmacht ein.

Der militärische Kampf, ich sagte es schon, war Ihnen nicht möglich. Aber mit diesem „beherzten Sehen“ wächst Ihnen dann eine eigentümliche Macht zu, die Sie in ein packendes und zutreffendes Wort zu kleiden wissen: Nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort. Eine alte christliche Überzeugung, die Sie neu ins Leben rufen. Und in den unzähligen Appellen und Briefen, die in dem genannten Buch versammelt sind, stellen Sie nun diese unangenehmen Wahrheiten des Tötens und der Vertreibung vor die Augen der Bischofskollegen aus aller Welt, der Politiker, des Heiligen Stuhls.

Sie richten sich an jeden, von dem Sie hoffen könne, er könne der Willkür, der Vertreibung und dem Mord irgendwie wehren. Sie kritisieren nicht nur die unausgesetzte Beugung des Rechtes, die unmenschliche tägliche Willkür, sondern auch ungeeignete Verträge, Dayton war nicht Ihr Fall, um es mal ganz einfach zu sagen. Sie befürchten, dass es Verträge gibt, mit denen Unrecht perpetuiert, aber nicht in Recht verwandelt wird.

Wenn wir Sie nun , Herr Bischof, als einen Boten empfangen, so ist es gleichwohl nicht leicht, den Empfang nur fröhlich und dankbar zu feiern, zu ambivalent ist die schwere Fracht, die Sie mit Ihrem Besuch zu uns bringen. Sie kommen wirklich von fern her, auch geistig, obwohl die Entfernung im kleiner gewordenen Europa gar nicht so groß ist.

Wenn ich sage, dass Sie eine verstörende, eine schwere Fracht mitbringen, dann meine ich Ihre Wahrnehmungen, über die ich gesprochen habe. Wir könnten sagen, der Bischof, den wir heute ehren, hat das andere Gesicht der Moderne gesehen, er hat das Gesicht von Hass und Unversöhnlichkeit gesehen, und das war ein Menschengesicht. Er hat die Indienstnahme des menschlichen Wissens gesehen, denken Sie nur, der Herr Karadzic, den ich eben erwähnte, das war ja ein studierter, Mann, gelegentlich widmete er sich sogar der Kunst. Das zweite Gesicht der hochgelobten Moderne ist die Zerstörung dessen, was der gute Teil der Moderne errichtet hat an Rechtsstaatlichkeit, Respekt vor dem andern, an allen Werten, die unser geistiges Europa bilden. Und wenn wir uns vorstellen, dass einem Hass nicht nur theoretisch sondern unmittelbar in einer Weise begegnet, dass die Gefahr besteht, an diesem Hass zu scheitern, sein Leben zu verlieren, dann spüren wir, wenn man das gesehen hat, die Destruktion, wir könnten auch sagen: die Dekonstruktion dessen, was die gute Moderne aufgebaut hat mit der parlamentarischen Demokratie, mit der Freiheit, mit der Herrschaft des Rechtes.

So bringt der Gast aus der Ferne auch das mit: das Wissen um das Scheitern des Moderne-Projektes. Das macht den Ernst und das Gewicht dieses Zeugen aus. Und dass er nicht einfach auf Grund eines irgendwie weltläufigen Optimismus, der in schönen Fernsehwelten vor unser Auge tritt, vor uns tritt, sondern dass seine Menschenliebe und sein Optimismus tiefer gegründet ist, dass macht ihn für uns zu einem Objekt der geistigen und humanen Begierde.

Wir suchen die Begegnung mit solchen Menschen, die uns etwas glauben lassen, was wir selber oft nur unzureichend vermögen. Es erscheint uns keineswegs selbstverständlich, dass dem Hass die notwendigen Grenzen gezogen werden. Wir suchen Menschen, deren Wurzeln so tief reichen, dass sie das, was andere vertreibt überstehen, dass sie verwurzelt bleiben. Und wir suchen Menschen, die über diesen tiefen Wurzeln solche gewaltigen geistigen Räume haben und so einen Zugang zu einer Dimension, die uns nicht verfügbar ist, zu der Dimension des Reiches Gottes, die uns ermutigen können, es doch vielleicht auch mit solcher Art Verwurzelung und solcher Art weiten Horizonten zu versuchen.

Deshalb sind wir eben nicht nur gebannt von der schweren und dunklen Seite der Fracht, die Sie hierher bringen, sondern wir sind beglückt, dass Sie uns besuchen. Es kommt ja nicht ein zerschlagener Mensch, der hier das Elend der Welt nur beschreibt, sondern es kommt einer, der geblieben ist, wo andere fliehen, einer, der irgendwo her – er weiß es ganz genau, nicht alle wissen es, die ihm zusehen, der eine Hoffnung hat. Das ist auch eine schwere Fracht, aber das ist ein schönes Gewicht. Und das ist etwas, was uns reich machen kann und was wir brauchen.

Die Stiftung beschenkt also unseren Bischof mit einem schönen Preis, und wir, die wir heute keinen Preis empfangen, wir empfangen etwas von dem, was uns immer fehlt. Wir sehen den Mann an und glauben, wozu auch wir mit Gottes und der Hilfe der Menschen fähig sein können. Wir schmeißen unser schönes unruhiges Leben nicht in den dunklen Schlund wohlfeiler Ohnmacht, sondern wir glauben, dass wir dem süßen Gift der Ohnmacht widerstehen können, weil wir Menschen erblicken, die auch im Angesicht von Not und Elend und Entrechtung Ermächtigte bleiben. Aus Hoffnung und Liebe. Und so begegnen Sie uns und wir sind die Beschenkten und gratulieren uns beiden, Ihnen zum Preis und uns zu dem Geschenk Ihres Besuches bei uns.

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