Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2003

Professor Dr. Peter Glotz, Direktor am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen

Laudatio für Věra Vitová, Jan Piňos, Petr Kulišek, die tschechischen Initiatoren des Kreuzes der Versöhnung von Professor Dr. Peter Glotz, Direktor am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises am 29. Juni 2003 in der Frankfurter Paulskirche

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

in seinem Werk „Verfolgung 1945“ schreibt der Historiker Tomaš Staniěk aus Tropau/ Opava über das Verbrechen in Wekelsdorf/ Teplice nad Metuji Folgendes:

„An der Monatswende vom Juni zum Juli spielte sich eine weitere Tragödie an der Grenze nahe Wekelsdorf im Kreis Braunau ab. Eine Gruppe Deutscher einschliesslich Kindern wurde auf Anordnung der örtlichen Verwaltungskommission und des Standortkommandanten, des Hauptmanns V. Svoboda am 28. Juni 1945 ausgewiesen und an die Grenze geführt. Die polnischen Wachmannschaften übernahmen die Aussiedler jedoch nicht. Daher wurden sie wieder zurückgebracht, eingesperrt, und am 1. Juli an einer abgelegenen Stelle im Wald von Buky von der Begleitmannschaft erschossen. Es handelte sich um elf, in der Mehrzahl ältere Frauen, sechs Männer und vier Kinder, unter diesen auch ein Baby. Ein Deutscher wurde angeblich auf der Flucht erschossen. Entsprechend dem Untersuchungsergebnis befand sich unter den Ermordeten auch eine Frau tschechischer Herkunft aus einer nationalen Mischehe. Eine tschechische Zeugin, welche bei der Exhumierung der Toten aus drei Gräbern mit anwesend war, drückte ihre Gefühle folgendermassen aus:

„Am Schrecklichsten war der Anblick eines Kindchens in einem Wickelkissen, welches ein bis zur Unkenntlichkeit des Gesichts zerschmettertes Köpfchen hatte, offenbar mit einem Gewehrkolben gemacht.“

Mit diesem Geschehen beschäftigte sich auch eine Untersuchungskommission des Sicherheitsausschusses der Verfassungsgebenden Nationalversammlung und gegen Svoboda und Genossen wurde darauf hin ein  Strafverfahren eingeleitet.“

Den Unterlagen, die die Preisträger zur Darstellung ihrer Aktion verfasst haben, entnehme ich, dass diese Untersuchung nicht zu einem Ergebnis führte. Es heisst dort wörtlich: „Die Untersuchung des Falles wurde nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 eingestellt, so dass die Schuldigen nie bestraft wurden.“

Was ist das Kreuz der Versöhnung?

In der Formulierung der Initiatoren: „Das Kreuz der Versöhnung wurde symbolisch eben am Ort dieser in der Geschichte von Broumov (Braunau) letzten Gewalttat errichtet. Das Denkmal gedenkt jedoch nicht nur der Einwohner von Teplice nad Metuji, die auf dem Buchenberg ermordet wurden. Es ist gleichsam allen Tschechen, Deutschen sowie Mitgliedern anderer Nationalitäten gewidmet, die in dieser Gegend durch Nationalitäten- oder Religionskriege ihr Leben verloren. Das steinerne Kreuz der Versöhnung soll keine Erinnerung an die Vergangenheit sein und nicht über das Mass an Schuldigkeit der einen oder anderen Seite richten, sondern will die Hand reichen und ein Beispiel dafür , wie auch ein Aufruf dazu sein, dass alte Schuld ein für alle Mal vergeben und die Zukunft nicht durch die Last weiterer auswegloser Streitigkeiten belastet wird.“

Wie sieht das Denkmal aus?

Es gibt drei eigenständige Teile: Eine „Stele“, die direkt am Ort des Verbrechens erbaut ist, eine Statue am Rand des Waldes, von wo ein grosser Blick über die Landschaft möglich ist, und ein Pfad, der die beiden Orte miteinander verbindet. Diesen Pfad säumen Steine in der Anzahl der Opfer. Der Künstler, der das Kreuz der Versöhnung gestaltet hat, ist Petr Honzátko. Das Kreuz wurde am 15. September vorigen Jahres feierlich enthüllt. Der tschechisch-deutsche Zukunftsfond hat zu dem Projekt 350.000 tschechische Kronen beigetragen. Eine erhebliche Summe wurde von den Initiatoren privat gesammelt. Hauptinitiatoren des Projekts sind der Verein „Inex – Verein der freiwilligen Aktivitäten“, sowie die Initiative „Kopf hoch, Braunauer Gebiet“.

Besonders hervorzuheben ist, dass sich die frühere Bürgermeisterin der Stadt Wekelsdorf/ Teplice nad Metuji, Věra Vitová, mit aller Kraft für das Projekt eingesetzt hat. Auch die Stadtvertretung hat das Projekt nach einigen Gesprächen unterstützt. An dem Versöhnungskreuz-Fest, bei dem das Kreuz der Öffentlichkeit übergeben wurde, haben Repräsentanten der Tschechischen Republik und auch der Bundesrepublik Deutschland Farbe bekannt. Anwesend waren unter anderen Petr Pithart, Vorsitzender des Tschechischen Senats, Luvomir Zaorálek, Vorsitzender des Abgeordnetenhauses, Jan Ruml, Stellvertretender Vorsitzender des Senats, der deutsche Botschafter in Prag, Michael Libal, Bernd Posselt, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Walter Rzepka, Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde sowie Milan Horaček, Direktor der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag.

Wie war die Situation Juni/ Juli 1945 in den Grenzgebieten der Tschechoslowakei? Die Billigung der Aussiedlung der Deutschen und der Magyaren durch die Potsdamer Konferenz hatte noch nicht stattgefunden. Die kam erst im August. Die Sowjetunion unterstützte das, was in dem undeutlichen Wort „Abschub – Odsun“ ausgedrückt wurde, voll. Auch die Briten und die Amerikaner hatten schon im Jahr 1942 nach langen Gesprächen mit Präsident Beneš einem Transfer der Minderheiten zugestimmt. Inzwischen aber waren sie unsicher geworden. Churchill sah schon den kalten Krieg kommen und die Amerikaner ,Offiziere und Soldaten der 3. Armee unter General Patton, griffen  immer häufiger ein, wenn Mitglieder der tschechischen Miliz versuchten, sudetendeutsche Zivilpersonen zu verhaften. Der Informationsminister der tschechischen Regierung, der Kommunist Vaclav Kopecky, erklärte ein paar Wochen später, dass die amerikanischen Einheiten am Ende des Kriegs nach Westböhmen nicht aus dem Grunde vorgestossen seien „um unsere Nation befreien zu helfen, sondern um die Sudetendeutschen schützen zu können und dazu noch alle Nazis, Gestapo-Leute, SS-Leute und Verräter.“ Die Kriegskoalition bröckelte schon. Präsident Beneš, der bevor er Präsident geworden war, 20 Jahre lang die Aussenpolitik seines Landes geführt hatte, wusste das alles genau. Und er war inzwischen ganz darauf festgelegt: Die Tschechoslowakei sollte ein weitgehend homogener Nationalstaat sein, Minderheiten sollten nur noch insofern zugelassen werden, als sie bereit wären, sich assimilieren zu lassen. In dieser Situation versuchte man, die Opfer vom Buchenberg auszusiedeln und scheiterte, wie an anderen Stellen auch häufig, an Grenzposten, die den Auftrag hatten, keine Aussiedler zu akzeptieren.

Man muss einen zweiten Entwicklungszug kennen. Die Akteure waren oft nicht die einheimische tschechische Bevölkerung, sondern Kommandos von aussen: Revolutionsgarden, oft durchsetzt mit falschen Partisanen, Gruppen der Svoboda-Armee, die im Osten gegen die Deutschen gekämpft hatte und das SNB, die Nationalen Sicherheitscorps.

Die Initiatoren des Projekts, das wir heute ehren, haben geschrieben: „Das tschechische Kommando in Teplice, das mittlerweile die Grundstücke der Deutschen rechtswidrig beschlagnahmt hatte, griff, um Spuren zu verwischen, zu der tragischen Lösung.“ Ob diese Beschlagnahme wirklich rechtswidrig war, will ich offen lassen. In der Tschechoslowakei galt seit dem 19. Mai 1945 das Präsidenten-Dekret über die Ungültigkeit einiger vermögensrechtlicher Rechtsgeschäfte aus der Zeit der Unfreiheit und über die nationale Verwaltung der Vermögenswerte der Deutschen, der Magyaren, der Verräter und Kollaboranten und einiger Organisationen und Anstalten, das  es ermöglichte, das Vermögen von Deutschen Nationalverwaltern zu übertragen.

Aber wie dem auch sei. Was sich austobte, war nationalistischer Hass, geschürt über viele Jahrzehnte. Gegen diesen nationalistischen Hass haben sich die Initiatoren durch ihr Versöhnungskreuz gewehrt, und zwar sicher in Kenntnis der Tatsache, dass sie viel Widerspruch in ihrer eigenen Gesellschaft ernten würden.

 Das verdient hohen Respekt von uns allen, nicht nur von Tschechen und Deutschen.

Deshalb verleiht die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen den Initiatoren den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis.

Franz Werfel, übrigens der grosse Prager Schriftsteller, hat den schwarzen Abgrund zwischen den Nationen in Prag, wie er das nannte, immer bekämpft. Als man ihm vorwarf, dass er in seinem Drama „Das Reich Gottes in Böhmen“, das den Konflikt zwischen Prokop, dem Führer der Taboriten, und dem päpstlichen Kardinallegaten Cesarini darstellt, nicht Partei genommen habe, sagte er: „Jede Parteinahme beruht auf Affekten, meist sogar auf den minderwertigen Affekten der Zugehörigkeit und des Interessentums. Tragödie aber ist gestaltete Gerechtigkeit.“

Ich denke, das Kreuz der Versöhnung ist ebenfalls ein Versuch zu gestalteter Gerechtigkeit. Im Namen der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen gratuliere ich den Preisträgern Věra Vitová, Jan Piňos und Petr Kulišek sehr herzlich. Sie haben den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis verdient.

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